Am Montag dieser Woche war ein schöner Tag für Open Educational Resources (#OER). In Rahmen eines großen Herausgeber-Teams um den Stifterverband der deutschen Wissenschaft, der Open Knowledge Foundation, der Mind Stiftung, der Technologie Stiftung Berlin, dem Internet und Gesellschaft Collaboratory sowie der Transferstelle OER (und uns selbst als Bertelsmann Stiftung) konnten wir zeitgleich zwei Studien zum Thema OER herausgeben. Beide Studien gemeinsam stellen eine erste grundsätzliche Bestandsaufnahme der offenen Bildungsinhalte in der Hochschule und dem Bereich der Weiterbildung in Deutschland dar und haben das Ziel, der Offenheit von Bildungsinhalten einen wesentlich größeren Raum zu geben.

Innerhalb weniger Wochen sind Dank des Autoren-Teams (Ingo Blees, Markus Deimann, Hedwig Seipel, Doris Hirschmann, Jan Neumann) um Jöran Muuß-Merholz und eines 12-köpfgigen Reviewer-Teams über 200 Seiten an Informationen und Analyse zum Thema zusammen gekommen. Im Zuge des gesamten Prozesses waren bis zu 30 (!) Menschen an der Erstellung der Studien beteiligt; Menschen, die sich größtenteils vorher nicht kannten, die jedoch ganz im Sinne Kollaboration Arbeitens gemeinsam für ein Ziel gearbeitet haben. Ich bin froh, dass wir damit nicht nur theoretisch über Teilen und Kollaboration geschrieben sondern dies auch ganz konkret gelebt haben.

Das Ziel des Teams war es, das Eintreten für offene Inhalte aus einer gewissen defensiven Grundhaltung heraus zu holen. Während man sich derzeit noch dafür fast entschuldigen muss, dass man Wissen und Dinge teilt (Artikel „Wenn Posten zur Manie wird…, rbb), sollte es vielmehr darum gehen, Teilen als default Option zu verstehen und zu fragen, wieso und mit welchem Recht Menschen von Bildungsinhalten ausgeschlossen und ferngehalten werden.

Demografie und sinkende finanzpolitische Spielräume, der existenzbedrohende Klimawandel, ein zunehmend globalisierter Arbeitsmarkt bei gleichzeitigem Fachkräftemangel in Deutschland und die Digitalisierung, welche eine immer schnellere Anpassung der vorhandenen Qualifikationen an nachgefragte Qualifikationen erfordert, sind Rahmenbedingungen zukünftiger Erwerbstätigkeit, die mehr als offensichtlich verdeutlichen, warum der offene Zugang zu Bildung gleichsam in den Rang eines Menschenrechts gehoben werden sollte.

Nur mit dem Teilen von elementaren Erkenntnissen, der Kollaborationen über nationale und kulturelle Grenzen hinweg und der Beteiligung emphatischer Menschen an dem Finden der so wichtigen Lösungen für globale Probleme können wir von der Zukunftsfähigkeit unserer Gesellschaft sprechen. Jede Schranke, die den Zugang zu Bildung und Erkenntnis verhindert, müsste gerechtfertigt werden und nicht die Forderung nach offenen Bildungsinhalten.

Speziell in Deutschland kämpfen die Befürworter offener Bildungsinhalte jedoch mit einem anachronistischem Leistungsschutzrecht, der Störerhaftung, mit unzureichender digitaler Infrastruktur und dem Fehlen konkreter erster Anwendungsfälle, die die Relevanz von OER mehr Lehrenden und Politikern vor Augen führen könnten.

 

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Sketch von @ralfa unter CC 4.0 BY

Der international bekannte OER-Experte Dominic Orr betonte dann auch in seinem Beitrag die Relevanz von OER als Katalysator sozialer Innovationen, da gerade auch der Kollaboration Prozess der Erstellung der Inhalte eine neue Form der gemeinsamen Erkenntniserarbeitung sei. OER hätten zudem einen längeren Lebenszyklus, da sie beständig verbessert würden und damit auch den statischen Inhalten traditioneller Bildungsanbieter überlegen seien. Allerdings wies er auch auf die Tatsache hin, dass die Vertreter von OER mehr in der Sprache des Mainstreams reden und in der Problemlogik des Mainstreams denken müssen, um anschlussfähig zu sein. Ich sehe die Forderung nach der Anschlussfähigkeit an tradiertes Denken an dieser Stelle etwas kritisch. „Realpolitisch“ hat er aber natürlich vollkommen recht.
Foto: Ole Wintermann
In seinen aktuellen Analysen sei er zu dem Schluss gekommen, dass die folgenden Voraussetzungen unabhängig vom jeweils betrachteten Land zur stärkeren Nutzung von OER beitrügen:

– generelle Förderung der Nutzung neuer Lernformen

– Unterstützungsangebote für Lehrenden

– Maßnahmen zur Sicherung von Qualität von Bildungsinhalten

– tatsächlich gewollter breiterer Zugang zu Bildungsinhalten

– Reduzierung der Hindernisse zu Lernmöglichkeiten wie beispielsweise soziale Herkunft

Darüber hinaus können Politik durch den Aufbau von Repisitorien (in der folgenden Debatte durchaus strittig diskutiert) und Netzwerken für Lehrende sowie die Initiierung erster systematischer Forschung zu OER die Verbreitung offener Bildungsinhalte voran bringen.

Jöran Muuß-Merholz, der vor der Herausforderung stand, als inhaltlicher Koordinator die zwei Studien in nur 15 Minuten vorzustellen, konzentrierte sich auf die Treiber für OER, die er im Zuge beider Studien ganz speziell in Deutschland identifiziert hatte. So würden sich positiv auf die Nutzung von OER auswirken:

– ein rigides Copyright, das Lehrende zunehmend überlegen lasse, wie Inhalte unabhängig von Verlagen erstellt und bereitgestellt werden könnten

– eine Kooperationen der Bildungsbereiche, die dem Erfahrungsaustausch über OER diene,

– Qualitätskontrollen, die den Hauptkritikpunkt gegenüber OER aufnehmen würden,

– eine Einigung auf einen Metadatenstandard, der den Austausch von Inhalten nachhaltig vereinfachen würde,

– die Förderung von Leuchtturmprojekten, die Anwendungsfälle bekannter machen würden,

– und die Umsetzung des Grundsatzes, dass „öffentlich finanziert“ auch zu „offen lizensiert“ führen würde.

Foto: Ole Wintermann

Mein Fazit der Veranstaltung und der Arbeit für die OER-Studie zur Weiterbildung war:

  1. Wir sollten als Vertreter von offenen (Bildungs-) Inhalten offensiver auftreten und die VertreterInnen geschlossener Inhalte nach der Rechtfertigung fragen, wieso Menschen Bildung und Inhalte vorenthalten wird.
  2. Es müssen konkrete Anwendungsfälle beschrieben und beworben werben, um sie bei den Lehrenden bekannt zu machen.
  3. Man sollte nicht nur über die gemeinsame Erstellung von Inhalten reden sondern dies, wie dies bei beiden Studien auch gemacht wurde, auch vorleben.