Wenn von Akademisierungswahn und der Krise der Berufsausbildung die Rede ist, habe ich den Eindruck, dass Ausbildung und Studium gegeneinander ausgespielt werden sollen. Dabei zeigt nicht zuletzt die steigende Attraktivität der dualen Studiengänge längst, dass viele junge Menschen beides wollen: einen Berufsabschluss und einen Hochschulabschluss.

Die akademische und die berufspraktische Ausbildung näher zueinander zu bringen, kann auch schon in der Schule funktionieren. Das lässt sich im Ländermonitor berufliche Bildung am Beispiel von Nordrhein-Westfalen (NRW) ablesen. Rund 12.000 Jugendliche erlernen einen Beruf und erwerben zugleich die Hochschulzugangsberechtigung. Das ist fast ein Viertel der insgesamt 50.000 Jugendlichen, die eine schulische Berufsausbildung absolvieren.

Ausbildung oder Abitur? Beides!

Ende der 1990-er Jahre hatte NRW mit einer Neustrukturierung des Berufsschulwesens dafür die Weichen gestellt. Die Berufsfachschulen und Fachgymnasien wurden relativ große Schuleinheiten, unter deren Dach die verschiedensten beruflichen Abschlüsse möglich sind. Der berufsbezogene Unterricht ist eng verwoben mit dem allgemeinbildenden Unterricht. Dadurch haben in NRW so viele Jugendliche wie in keinem anderen Bundesland nach der Schule zwei Optionen: Den qualifizierten Berufseinstieg oder die Aufnahme eines Studiums.

Das trifft offensichtlich den Wunsch vieler Jugendlicher. Die Kombination aus Ausbildung plus Abi trägt dazu bei, dass im Jahr 2013 fast 14 Prozent mehr Jugendliche eine schulische Berufsausbildung begonnen haben als 2005. Das ist in NRW erstens trotz eines demografisch bedingten Rückgangs der Schulabsolventenzahlen passiert, zweitens gegen den Bundestrend, und drittens nicht zulasten des dualen Systems gegangen. Auch eine betriebliche Ausbildung fingen in 2013 gut 10 Prozent mehr Jugendliche an als noch acht Jahre zuvor.

Der Demographie getrotzt

NRW ist es demnach gelungen, den demografischen Rückgang nicht auf die beiden vollqualifizierenden Ausbildungssysteme durchschlagen zu lassen. Zum Vergleich: In Ostdeutschland ist im selben Zeitraum das duale System um rund die Hälfte eingebrochen, im wirtschaftsstarken Bayern hat es immerhin das Niveau halten können.

In NRW ist stattdessen das Übergangssystem so stark wie in keinem anderen Land geschrumpft. Das ist gut. Denn dahinter verbergen sich Maßnahmen, die soziale Kompetenzen, versäumten Schulstoff oder erste praktische Erfahrungen vermitteln sollen. All das ist zwar prinzipiell hilfreich, bedeutet für viele Jugendliche letztlich aber verlorene Zeit, denn: Ein Berufsabschluss kann im Übergangsbereich nicht erworben werden. Um die Hälfte zurückgegangen ist etwa die Schülerzahl an den Berufsfachschulen, die keinen qualifizierenden Abschluss anbieten.

Drei Hauptprobleme bleiben

Trotzdem gibt es keinen Grund für Nordrhein-Westfalen, in seinen Bemühungen um eine aktivierende Berufsbildungspolitik nachzulassen. Denn drei Problembereiche bestehen nach wie vor:

Erstens hat NRW bei den Lehrstellen das zweitschlechteste Verhältnis aller Bundesländer zwischen Angebot und Nachfrage. Auf 123.000 Ausbildungsstellen kamen 2013 mehr als 141.000 Bewerber.

Zweitens gibt es starke regionale Unterschiede: In Münster landen nur 10 Prozent der Jugendlichen im Übergangssystem, in Herne hingegen 53 Prozent.

Und drittens findet nur jeder zweite ausländische Bewerber eine Lehrstelle. Den Bewerbern mit deutschem Pass gelingt das zu 77 Prozent. Dies ist kein ermutigendes Signal, denn unter den 15- bis 24-Jährigen hat in NRW schon jetzt fast jeder Dritte einen Migrationshintergrund.