Seit Monaten hören wir gefühlt nur schlechte Nachrichten, wenn es um die Situation an den allgemeinbildenden und beruflichen Schulen geht. Es dürfte mittlerweile unstrittig sein: Die Corona-Pandemie wirkt sich auf die Situation der Schüler:innen besonders ungünstig aus. Ohne diese Probleme relativieren zu wollen, wird in diesem Blogbeitrag jedoch von einem erfreulichen Beispiel berichtet, was Unterricht während der Pandemie auch leisten konnte.

Fächerübergreifender Unterricht mit Produktorientierung

Mitten in der Pandemie haben 35 Schüler:innen des Johann-Conrad-Schlaun Berufskolleg Warburg in einem fächerübergreifenden Projekt von September 2020 bis Dezember 2021 gemeinsam ein Konzept für einen Podcast entwickelt und umgesetzt. Während längerer Phasen des Projekts konnte der gewohnte Präsenzunterricht nicht stattfinden und die Schüler:innen befanden sich im sogenannten Homeschooling. Trotzdem konnte das Projekt im geplanten Umfang umgesetzt werden, weil die Schüler:innen engagiert blieben.

Geholfen hat dabei sicherlich, dass die Schüler:innen in diesem Projekt nicht einfach „nur“ etwas für den Unterricht erarbeitet haben. Stattdessen haben sie ein komplexes Produkt Schritt für Schritt gemeinsam erschaffen. Im Sinne des pädagogischen Konzepts der vollständigen Handlung bzw. des handlungsorientierten Unterrichts bestand das Projekt daraus, den Prozess der Erstellung eines eigenen Podcasts komplett umzusetzen: Konzeptentwicklung, Planung, inhaltliche Recherche, technische Vorbereitung, konkrete Umsetzung und schließlich die Veröffentlichung des fertigen Produkts im Internet. Das Beispiel zeigt, welches Potential in Lehr-Lern-Settings liegt, die es schaffen, die Schüler:innen intrinsisch zu motivieren und so nachhaltig zu aktivieren.

Inhaltlich beschäftigten sich die Schüler:innen von zwei 11. Klassen des Wirtschaftsgymnasiums im Rahmen des Faches Gesellschaftslehre/Geschichte mit dem Thema Diskriminierung von Behinderten. Sie setzten sich zunächst im Unterricht mit der Situation behinderter Menschen in unserer Gesellschaft auseinander und klärten, in welcher Form diese Menschen von Diskriminierung betroffen sind. Der Schwerpunkt des Projekts lag dann im Folgenden auf der Auseinandersetzung mit der Ermordung behinderter Menschen während des Nationalsozialismus (sogenannte „Aktion T4“). Besonders mit dem Tatort St. Johannes-Stift in Marsberg beschäftigten sich die Schüler:innen, da diese Stadt im Einzugsgebiet der Schule liegt und es so einen direkten persönlichen Bezug gibt.

Abweichend von konventionellen Unterrichtskonzepten hatten sich die Schüler:innen im September 2020 auf Vorschlag ihres Geschichtslehrers in einer Abstimmung dafür entschieden, einen thematischen Podcast zu entwickeln und sich mit dieser Idee um eine finanzielle Förderung bei der Schwarzkopf-Stiftung Junges Europa zu bewerben. Neben der inhaltlich-thematischen Auseinandersetzung begannen die Schüler:innen im Rahmen des Projekts, das mediale Format Podcast systematisch zu analysieren und sich mit der notwendigen Technik und Software vertraut zu machen.

Praktisch führte die Komplexität des Projekts dazu, dass die Schüler:innen sich in verschiedene Arbeitsgruppen aufteilten, die die unterschiedlichen notwendigen Aufgaben im Produktionsprozess übernahmen. Als gemeinsames Produkt der verschiedenen Arbeitsgruppen entstanden am Ende insgesamt elf Podcast-Folgen, die zwischen vier und 52 Minuten lang sind. Am 30. April 2021 wurden die ersten beiden Folgen des Podcasts ‚Unvergessen‘ veröffentlicht. Die erste Staffel lief bis zum 2. Juli 2021. Die Themen der einzelnen Folgen können hier nicht ausführlich wiedergegeben werden. Was auch nicht nötig ist, da sie auf Spotify und Apple Podcasts zu finden sind und dort kostenlos gehört werden können. Hier nur so viel: Es werden zentrale Konzepte wie Diskriminierung und Behinderung erläutert, es gibt Interviews mit Wissenschaftlern, es wird über historische Zusammenhänge informiert und es werden schließlich zwei Opfer porträtiert, damit – ganz im Sinne des Titels des Podcast – Astrid Steiner und Paul Brune nicht vergessen werden.

Ein ausgezeichnetes Ergebnis

Die Schwarzkopf-Stiftung Junges Europa sagte im Januar 2021 die Förderung des Projekts zu. So konnte professionelles technisches Equipment für die Umsetzung des Projekts gekauft werden. Im September 2021 wurden die beteiligten Schüler:innen dann in Berlin mit dem Margot-Friedländer-Preis 2021 für das mit diesem Projekt verbundene gesellschaftliche Engagement ausgezeichnet. Im Beisein der Holocaust Überlebenden und Namensgeberin des Preises Margot Friedländer sowie der Bundeskanzlerin Angela Merkel nahmen fünf Schüler:innen den Preis dort stellvertretend für die ganze Gruppe entgegen.

Es ist eine wiederholte Forderung, dass Bildung mehr sein soll als Wissensvermittlung. Bildung soll auf die Entwicklung von Persönlichkeit und Reflexionsfähigkeit zielen. Welche Entwicklungsmöglichkeiten das Podcast-Projekt in diesem Sinne für die Schüler:innen bietet, lässt sich anhand des Videoporträts sowie in der Folge #11 Zwischenfazit des Podcasts nachvollziehen. Die dort zu Wort kommenden Schüler:innen treten selbstbewusst auf, sind stolz auf das Geleistete und reflektieren ihre gemeinsame Arbeit im Projekt kritisch. Wie viel mehr kann guter Schulunterricht leisten?

Wie es weitergeht …

Die erste Staffel des Podcasts ‚Unvergessen‘ ist abgeschlossen, aber das Podcast-Projekt ist damit noch nicht an sein Ende gekommen. Im Gegenteil: Aktuell schließen die Schüler:innen die Arbeit an der zweiten Staffel ab. In dieser Staffel beschäftigen sie sich inhaltlich mit den Spuren jüdischen Lebens in ihrer Heimatregion. Hierbei wird das Gedenken an jüdische Familien im Mittelpunkt stehen, die in der Shoa ermordet wurden bzw. sich nur durch Flucht ins Ausland retten konnten. Indem die Schüler:innen ihre Geschichte erzählen, sollen diese Menschen ‚Unvergessen‘ bleiben. Geplant ist der Start der Veröffentlichung der zweiten Staffel für Dezember 2021.

Das Projekt ‚Unvergessen‘ ist vor mehr als einem Jahr mit zwei Schulklassen gestartet. Die Initiatoren haben sich bei den Recherchen, durch Interviews und aufgrund der regionalen Medienberichterstattung mit verschiedenen Ehrenamtlichen vor Ort vernetzt. Das bietet die Chance, dass das Berufskolleg neben den örtlichen Gymnasien künftig eine stärkere Rolle für die lokale Erinnerungskultur einnehmen könnte. Die von den Schüler:innen und Lehrer:innen für den Podcast aufgebauten Strukturen sollen dauerhaft weiter genutzt werden. Dafür wird das Projekt mittelfristig in ein schulformübergreifendes Angebot des Differenzierungsbereichs überführt. Dort können dann interessierte Schüler:innen des Johann-Conrad-Schlaun Berufskollegs Warburg teilnehmen. Außerdem ist auch eine Zusammenarbeit mit der benachbarten Sekundarschule in Planung.

Bei Rückfragen zum Projekt melden Sie sich gern per E-Mail bei Studienrat Andreas Meier ameier@jcsbk.de.