Die Bildungswege junger Menschen nach Verlassen des allgemeinbildenden Schulsystems verlaufen individuell sehr unterschiedlich. Folgt man bildungspolitisch vorgezeichneten „Idealwegen“, führen diese für junge Menschen nach dem Verlassen der Schule möglichst direkt in einen der beiden berufsqualifizierenden Bildungswege: Ausbildung oder Studium. Tatsächlich verlaufen Bildungswege aber häufig nicht idealtypisch linear, sind vielfältiger – manchmal auch holprig – oder werden unterbrochen und dauern dementsprechend länger. Im allerschlechtesten Fall führen sie zu keinem Berufsabschluss. Laut Statistik betrifft das in Deutschland über 2,3 Millionen junge Menschen zwischen 20 und 34 Jahren – mit steigender Tendenz.
Jenseits von Berufsbildungsstatistiken geht es in der nachschulischen Bildung sowohl für das Individuum als auch für die Gesellschaft um gelingende Übergänge. Daher haben wir im Projekt Chance Ausbildung der Bertelsmann Stiftung die Georg-August-Universität Göttingen unter Beteiligung der Helmut-Schmidt-Universität Hamburg gebeten, die Übergänge von Jugendlichen mithilfe der Daten des Nationalen Bildungspanels (NEPS) für einen Zeitraum von 48 Monaten nach Verlassen des allgemeinbildenden Schulwesens zu untersuchen. Was genau hat uns interessiert?
Die Suche nach Mustern
Es gibt bereits viele Untersuchungen auf Basis der NEPS-Datensätze, die sich mit sogenannten „Risikogruppen“ beschäftigen oder Teilbereiche nachschulischer Bildung, wie etwa die Übergänge in Ausbildung, betrachten. Was bislang fehlt, ist die bildungsbereichsübergreifende Betrachtung der Bildungsverläufe aller Schulabgänger:innengruppen. Diese Lücke wollten wir schließen und mithilfe der NEPS-Daten nach Mustern in den Bildungsverläufen suchen und so Herausforderungen identifizieren.
Die Ergebnisse der Studie zeigen, dass die Mehrheit der jungen Menschen nach der Schule nicht den idealtypisch kürzesten Weg nimmt. Neben frei gewählten „Auszeiten“ – beispielsweise einem GAP-Jahr nach dem Abitur – sind es oft auch unfreiwillig verzögerte Übergänge, die den Bildungsweg verlängern, etwa, wenn die Ausbildungsplatzsuche erfolglos geblieben ist oder „Wartesemester“ zu absolvieren sind.
Längere Bildungsverläufe, Unterbrechungen und (Um-)Wege sind nicht per se als problematisch anzusehen. Sie können für das Individuum sinnvoll und nützlich sein. Zum Problem werden sie dann, wenn sie dauerhaft nicht zu einem gelingenden und stabilen Einstieg in Ausbildung oder Studium führen. Solche Muster in den Verläufen zu erkennen war eines unserer Hauptanliegen – damit Bildungspolitik darauf reagieren kann.
Die wesentlichen Ergebnisse:
Längere Wege bis zum Beruf
Der „idealtypisch“ kürzeste Weg wird nur von einer Minderheit absolviert. Vier Jahre nach Verlassen des allgemeinbildenden Schulsystems haben erst 43 Prozent der jungen Menschen einen Ausbildungsabschluss oder einen Bachelor in der Tasche. Die Mehrheit der Schulabgänger:innen folgt damit nicht dem direkten Weg.
Ungewollte Verzögerungen beim Übergang
In rund 20 Prozent der über 7.000 untersuchten Bildungsverläufe gelingt der Übergang in Ausbildung oder Studium erst verzögert, aufgrund von Such- oder Anpassungsprozessen. Das bedeutet, Jugendliche könnten früher eine Ausbildung oder Studium beginnen, verliefe der Übergang friktionslos.
Instabile nachschulische Verläufe
Bei rund 15 Prozent der jungen Menschen, also jedem bzw. jeder Siebten, kommt es zu einem instabilen Verlauf. Für diese Menschen besteht ein sehr hohes Risiko, dauerhaft ausbildungslos zu bleiben. Unter diesen Personen sind überdurchschnittlich viele mit niedrigem Schulabschluss, aus Familien mit niedrigem sozioökonomischen Status und mit Migrationshintergrund. Ein später Ausbildungsabbruch ohne Übergang in eine neue Ausbildung, fragmentierte Verläufe ohne dauerhafte Einmündung in berufsqualifizierende Bildungsangebote sowie lange Verweilzeit im Übergangssektor sind Merkmale, die diese Gruppe charakterisieren.
Der Übergangssektor hilft nur bedingt beim Übergang
Nur rund zwei Drittel der jungen Menschen, die eine oder mehrere Maßnahmen im Übergangssektor absolviert haben, gelingt anschließend der Übergang in eine Ausbildung. Damit wird ein wesentliches Versprechen – nämlich der Übergang – für viele Jugendliche und junge Erwachsene nicht eingelöst.
Fazit
Die Analyse der individuellen Bildungsverläufe von über 7.000 jungen Menschen nach Verlassen der Schule zeigt, dass ein Teil der Jugendlichen von den institutionalisierten nachschulischen Bildungsangeboten nicht erreicht wird. Und bei einem nicht außer Acht zu lassenden Teil von Jugendlichen zeigen sich erhebliche Verzögerungen auf dem Weg zu einem berufsqualifizierenden Abschluss.
Aufgrund des Betrachtungszeitraumes von vier Jahren kann nicht abschließend ausgesagt werden, inwiefern diese stark verzögerten Eintritte in stabile Bildungswege zu dauerhafter Ausbildungslosigkeit führen. Es zeigen sich aber Verlaufsmuster mit einem deutlich erhöhten Risiko. Insgesamt betrifft das 15 Prozent der analysierten Verlaufswege, was bei rund 750.000 Schulabgänger:innen jährlich über 100.000 junge Menschen betrifft. Neben der bedeutsamen individuellen Problematik, die ein fragmentierter und Risiko-behafteter Bildungsverlauf für jeden Einzelnen bringt, ist Ausbildungslosigkeit in Zeiten von Fachkräftebedarf und demografischem Wandel auch gesellschaftlich und wirtschaftlich nicht akzeptabel.
Um Umwege zu reduzieren, könnte beispielsweise eine stärkere und vor allem individuellere Berufsorientierung an allen Schulformen dazu beitragen, Verzögerungen in der Berufswahlentscheidung und späteren Abbrüchen vorzubeugen. Aber auch die Möglichkeit zu einem direkten Einstieg in Ausbildung ist für viele Jugendliche wichtig. Die von der Bundesregierung beschlossene Ausbildungsgarantie kann – wenn die Umsetzung nicht nur halbherzig erfolgt – dafür ein geeignetes Instrument sein.
Die Studie gibt es als kostenfreien Download auf den Seiten des wbv-Verlag, eine ausführliche Zusammenfassung befindet sich hier.
Weitere Infomaterialien zum Thema Ausbildungschancen und Ausbildungsgarantie finden Sie auf der Seite ausbildungsgarantie.de
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