Praxis gestalten — Kompetenzfeststellung und Profiling
Neben einer ausreichenden Sprachbeherrschung und einer umfangreichen Berufsorientierung und Berufsberatung gehört zu einer gründlichen und nachhaltigen Ausbildungsvorbereitung für Geflüchtete auch eine flexible Kompetenzfeststellung.
Was hat es damit auf sich?
Die Kompetenzfeststellung ebenso wie das „Profiling“ sind für die Ausbildungsvorbereitung der Geflüchteten unerlässlich, weil nur dadurch ihre Begabungen, Erfahrungen, Interessen und Kompetenzen in die Beratung und Vermittlung einbezogen werden können. Das Profiling und die Kompetenzfeststellung gilt es jedoch voneinander abzugrenzen. Das Profiling sollte idealerweise unmittelbar nach einem Schulabschluss erfolgen und den Grundstein der weiteren Berufsplanung bilden. Während das Profiling eine zumeist noch grobe diagnostische Bestandsaufnahme ist, die erlaubt, die Ausbildungsvoraussetzungen von jungen Zuwanderern einzuschätzen und zuzuordnen, bezieht sich die Kompetenzfeststellung auf einen bestimmten beruflichen Ausbildungsbereich und vollzieht sich in der Umsetzung differenzierter und tiefgreifender.
Aufgrund der unterschiedlichen Bildungsvoraussetzungen und kulturellen Hintergründe der jungen Geflüchteten müssen die Instrumente entsprechend flexibel eingesetzt werden. Berufspraktische Kompetenzfeststellungen in Betrieben, Lehrwerkstätten und Übungsbüros gelten hingegen zwar als anerkannt und sehr aussagekräftig, können jedoch aufgrund des hohen Aufwands nicht immer durchgeführt werden. Daher ist es erforderlich, standardisierte Verfahren zu entwickeln, die ortsunabhängig und zeitlich flexibel eingesetzt werden können. Es müssen Kompetenzfeststellungsverfahren etabliert werden, die nicht nur Zuwanderern, sondern auch Einheimischen ohne formalen Berufsabschluss erlauben, ihre Kompetenzen zu beweisen und zu zertifizieren. Diese Zertifizierung soll keinesfalls einen Berufsabschluss ersetzen. Sie soll vielmehr den Einstieg in eine Berufsausbildung vereinfachen.
Die Ausgangslage sieht wie folgt aus: Viele junge Zuwanderer haben in ihren Herkunftsländern bereits berufliche Erfahrungen gesammelt, eine Ausbildung angefangen oder sogar schon abgeschlossen. In den meisten Herkunftsländern werden Berufsausbildungen aber nicht wie in Deutschland mit formalen Abschlüssen zertifiziert. Um im Ausland gewonnene berufliche Fähigkeiten für den deutschen Arbeitsmarkt sichtbar und ggfs. nutzbar zu machen, gilt es diese durch Kompetenzfeststellungen zu identifizieren. Praxisnahe Verfahren zur Kompetenzerfassung müssen informell und non-formal erworbene Kompetenzen abbilden können. Diese beruflichen Kompetenzen können wiederum eine solide Grundlage für eine aufbauende und ergänzende Berufsausbildung in Deutschland darstellen. Eine Selbsteinschätzung der Zuwanderer reicht jedoch meist nicht aus, denn sie kennen in der Regel nicht die Anforderungen der Berufe in Deutschland und haben es daher schwer, ihre Kompetenzen bezogen auf die Anforderungsprofile, korrekt zu beschreiben.
Was gibt es bereits?
Die wenigen bisher verfügbaren Verfahren, wie etwa auf Europaebene der „Europass“, bilden keine ausreichende Grundlage, da sie beispielsweise nicht über einen Referenzrahmen verfügen. In Deutschland gibt es bisher keine übergreifend angewandten Verfahren einer beruflichen Kompetenzfeststellung. Trotzdem gibt es auf Bundesebene mit dem Projekt „Early Intervention“, an dem die Bundesagentur für Arbeit und das BAMF mitwirkten, einen Versuch, berufliche Fähigkeiten von Geflüchteten abzubilden. Die verwendeten Kompetenzfeststellungsverfahren sind aber nicht standardisiert und richteten sich eher an die Gruppe der jungen Geflüchteten mit hohem Qualifikationsniveau, bei denen schnelle Integrationserfolge erwartet werden konnten (Daumann et al. 2015). Die Feststellungspraxis von mitgebrachten Berufskompetenzen erwies sich zudem als mühselig, weil nicht nur Zertifikate selten vorlagen sondern auch die sprachliche Verständigung schwer fiel und die Unterschiedlichkeit der Ausbildungssysteme einfache Gleichsetzungen und Zuweisungen erschwerte (Dietz/Trübswetter 2016).
Auf Landesebene gibt es eigene Konzepte, so bspw. in Baden-Württemberg, Bremen oder Nordrhein-Westfalen. Bei der sogenannten „Kompetenzanalyse Profil AC“ aus Baden-Württemberg werden individuelle überfachliche und berufsbezogene Kompetenzen ermittelt. Das Projekt befindet sich aber noch in der Testphase und wird begleitend für berufliche Schulen eingesetzt. Seit Januar 2016 gibt es auch in NRW ein Konzept zur Kompetenzfeststellung. Mit der Initiative „Integration Points“ wird ein berufsbezogenes Profiling durch spezialisierte Beratungsfachkräfte durchgeführt. In Bremen wiederum erfolgt mit dem Projekt „Kompetenzfeststellung für Teilnahme an Externenprüfung der Kammern“ eine Einbindung von berufsbildenden Schulen bei der Feststellung von beruflichen Kompetenzen.
Für eine Potenzialanalyse in der Migrationsberatung für erwachsene Zuwanderer (MBE) wurden gemeinsam vom Forschungsinstitut Betriebliche Bildung (f-bb) und den Trägern der Migrationsberatung für erwachsene Zuwanderer sowie der Bertelsmann Stiftung Kompetenzkarten entwickelt, die in mehr als 600 vom Bundesministerium des Inneren finanzierten Beratungsstellen eingesetzt werden können. Die Zielgruppe der MBE sind erwachsene Einwanderer über 27 Jahren, die sich dauerhaft in Deutschland aufhalten dürfen. Die Kompetenzkarten sind auf die Bedürfnisse der Migranten und Berater zugeschnitten und bieten bei einem ersten Profiling eine Grundlage für Gespräche zur Beratung und Einschätzung. Es wurde dabei darauf geachtet, dass die Karten leicht verständlich und flexibel einsetzbar sind. Sie visualisieren Kompetenzen und tragen zur Überwindung von Sprachbarrieren bei.
In Kooperation von Bundesagentur für Arbeit und Bertelsmann Stiftung wurde zudem das Projekt „Berufliche Kompetenzen erkennen“ gestartet, in dem in den beiden kommenden Jahren ein spracharmes und bildgestütztes Kompetenzerfassungssystem entwickelt wird. Hauptbestandteil sind standardisierte Kompetenztests für Migranten und Geflüchtete, aber auch für einheimische Geringqualifizierte, die über keinen Berufsabschluss verfügen. Referenzrahmen der Tests sind Berufe aus dem deutschen Ausbildungssystem. Den Getesteten soll dadurch eine zielgerichtete Einmündung in Beschäftigung und Qualifizierung ermöglicht werden. Der Kompetenztest soll dabei primär berufsspezifische betriebliche Handlungskompetenzen erfassen.
Was ist noch zu tun?
Auch bei der Kompetenzfeststellung muss noch einiges getan werden. Wie zu sehen ist, gibt es in Deutschland bisher keine übergreifend angewandten Verfahren einer beruflichen Kompetenzfeststellung. Außerdem mangelt es aktuell noch an ausreichenden Erfahrungen mit dem Profiling von Geflüchteten. Die wenigen bestehenden Instrumente sind nicht standardisiert und haben nur eine geringe Aussagekraft, die sich zumindest für einen Großteil der Zuwanderer kaum eignet. Die bestehenden Instrumente nutzen eher der Gruppe der gut qualifizierten Fachkräfte mit langjähriger Erfahrung.
Die Verfahren der Kompetenzfeststellung und das Profiling sind nach einer ersten Phase der Erprobung im Hinblick auf ihre Aussagekraft zu prüfen und, soweit sie sich bewähren, strukturell besser zu verankern. Ihr Nutzen kann nur dann ausgeschöpft werden, wenn ihre Verwertbarkeit für die Zuwanderer und deren Berater auch außerhalb des Erhebungskontextes gesichert wird. Insbesondere bei berufsbezogenen Kompetenzfeststellungen ist ein einheitlicher Bezugsrahmen notwendig. Standardisierte Verfahren der Kompetenzfeststellung würden sich hierfür am besten eignen. Einerseits würden Berater und Arbeitgeber davon profitieren, weil die Einordnung der Ergebnisse dadurch erleichtert wird. Andererseits würde ersichtlich werden, welche Ausbildungsinhalte Zuwanderern bis zum Berufsabschluss noch fehlen.
Quellen:
Daumann, V.; Dietz, M.; Knapp, B.; Stien, K. (2015): Early Intervention – Modellprojekt zur frühzeitigen Arbeitsmarktintegration von Asylbewerberinnen und Asylbewerbern – Ergebnisse der qualitativen Begleitforschung. IAB Forschungsbericht 3/2015. Nürnberg.
Dietz, M.; Trübswetter, P. (2016): „Early Intervention“ – Teilnehmerstruktur und Arbeitsmarktintegration von Asylbewerberinnen und Asylbewerbern. In: Berufsbildung in Wissenschaft und Praxis. Jg. 45, 2016, Nr. 1, 4–5.
Teil 2: Praxis gestalten – Berufsorientierung und Beratungsangebote
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