Unter den westdeutschen Flächenländern gelten sie als Sorgenkinder der beruflichen Bildung: Niedersachsen und Schleswig-Holstein. Zu wenige Ausbildungsplätze, viele Jugendliche in den Warteschleifen des Übergangssystems, schlechte Chancen für Hauptschüler und Ausländer. Die Ursachen liegen zum Teil in der Wirtschaftsstruktur, zum Teil sind die Probleme hausgemacht. Denn in beiden Ländern ist die Bildungspolitik der Vergangenheit mitverantwortlich dafür, dass gewaltige Anstrengungen nötig sind – sowohl, um den künftigen Bedarf an Fachkräften zu decken als auch, um die sozialen Chancen der jungen Generation zu verbessern.
Insbesondere in Schleswig-Holstein steht die Berufsbildungspolitik vor immensen Herausforderungen. Die Ausgangslage könnte kaum schwieriger sein. Nicht nur ist das Bruttoinlandsprodukt das niedrigste aller westdeutschen Bundesländer. Hinzu kommt, dass es dort so viele Klein- und Kleinstbetriebe gibt wie sonst nur in Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern. Gerade diese Betriebe ziehen sich immer mehr aus der Ausbildung zurück.
Lehrstellen sind Mangelware
Das trägt dazu bei, dass sich die Chancen auf eine Lehrstelle in Schleswig-Holstein – gegen den Bundestrend – negativ entwickelt haben. Auf 100 Bewerber kommen lediglich 88 angebotene Ausbildungsplätze. 2007 waren es noch 89 Plätze. Alle anderen deutschen Flächenländer melden in diesem Zeitraum eine positive Entwicklung. In Bayern etwa gibt es inzwischen mehr Lehrstellen als Bewerber.
Umso wichtiger wäre es, auch den Jugendlichen ohne Lehrstelle zu ermöglichen, einen Beruf zu erlernen. Doch der Anteil der Neueinsteiger ins Berufsbildungssystem, die eine vollschulische Ausbildung beginnen, ist in Schleswig-Holstein ebenfalls niedriger als im Bundesdurchschnitt. Logische Konsequenz: Viele Jugendliche (35,3 Prozent) landen im Übergangssystem. Diese Quote ist einzig in Baden-Württemberg höher, wo der Übergangsbereich aber aufgrund besonderer Regelungen mit dem im Norden nicht vergleichbar ist.
Ohne erkennbares Organisationsprinzip
Dem Übergangssystem in Schleswig-Holstein stellt der Ländermonitor berufliche Bildung alles andere als ein gutes Zeugnis aus: Es sei „zersplittert“, „ohne erkennbares Organisationsprinzip“und dominiert von Schulformen, die keinen vollqualifizierenden Abschluss anbieten. Die Autoren mahnen die Landespolitik dringend, für mehr betriebliche und vor allem schulische Ausbildungsplätze zu sorgen sowie das Übergangssystem zu verkleinern und reformieren.
Notwendig sei auch, das kognitive Niveau der Jugendlichen bereits in den allgemeinbildenden Schulen zu erhöhen: Nirgendwo verlassen mehr Jugendliche mit maximal Hauptschulabschluss die Schule (24,5 Prozent; Bundesdurchschnitt 19,4%), nirgendwo erlangen weniger eine Hochschulzugangsberechtigung (34,8 Prozent; Bundesdurchschnitt 41%) als in Schleswig-Holstein. Das sind keine guten Zahlen, zumal in dem nördlichsten Bundesland eine besondere Herausforderung für die Bildungspolitik eher gering ausfällt: Nur 18 Prozent der Jugendlichen im ausbildungsfähigen Alter haben einen Migrationshintergrund – in Nordrhein-Westfalen ist der Anteil fast doppelt so hoch.
Niedersachsens Landespolitik gefordert
Unter einem ähnlichen Qualifizierungsdefizit leidet auch Niedersachsen: nur unwesentlich mehr Schulabgänger, die studieren können (35,3 Prozent), und trotzdem einer der geringsten Anteile an Neuzugängen in die betriebliche oder schulische Ausbildung. Der Ländermonitor berufliche Bildung ruft die Landespolitik deshalb auf, ihre Qualifizierungspolitik „für alle Ausbildungssektoren merklich zu intensivieren“.
In Niedersachsen ist das Angebot an Lehrstellen sogar noch ungünstiger als in Schleswig-Holstein: Auf 100 Bewerber kommen lediglich 85 Ausbildungsplätze – in keinem anderen Bundesland ist die Suche nach einem Ausbildungsplatz derart schwierig. Weil die Angebote an vollschulischen Ausbildungsplätzen das nicht auffangen, ist das Übergangssystem in Niedersachsen ähnlich groß wie in Schleswig-Holstein. Immerhin scheint Niedersachsen auf einem guten Weg, diesen Bereich zu verkleinern: 2005 noch war er fast doppelt so groß.
Schlechte Chancen für Ausländer
Dabei ist es für Niedersachsen mit einem starken produzierenden Gewerbe ganz besonders wichtig, genügend Fachkräfte auszubilden. An den Produktionsstandorten wie Braunschweig, Hannover und Wolfsburg starten denn auch 75 bis 80 Prozent der Jugendlichen, die ins Berufsbildungssystem einsteigen, eine vollqualifizierende Ausbildung. Die Herausforderung besteht eher in den ländlich geprägten Regionen, wo sich teilweise fast jeder zweite Schulabgänger im Übergangssystem wiederfindet.
Besonders benachteiligt sind Ausländer in Niedersachsen. Zum einen starten Ausländer mit deutlich schlechteren Bildungsabschlüssen ins Ausbildungssystem. Doch selbst bei gleichen Schulabschlüssen ist es für sie ungleich schwerer, einen vollqualifizierenden Ausbildungsplatz zu finden: 60 Prozent der Ausländer mit Hauptschulabschluss (Deutsche: 45 Prozent) und 44 Prozent der Ausländer mit mittlerem Abschluss (Deutsche: 27 Prozent) landen im Übergangssystem. Kein Ruhmesblatt für die Chancengerechtigkeit.
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