Dieser Beitrag ist der erste Beitrag für ein Blogstöckchen zum Thema #DuKannstWas, das wir in den nächsten Wochen auf die Reise schicken wollen, um Argumente zum Thema Kompetenzanerkennung zusammen zu tragen und dazu breit zu diskutieren.

Die Europäische Kommission hat uns am 20. Dezember 2012 ein besonderes Weihnachtsgeschenk gemacht: die Ratsempfehlung zur Validierung nichtformalen und informellen Lernens. Damit hat die Kommission das Thema Kompetenzanerkennung ganz oben auf die politische Agenda gesetzt. Es geht nicht mehr um das ‚ob‘, sondern nur noch um das ‚wie‘ der Kompetenzanerkennung.

In vielen EU-Mitgliedsstaaten gibt es ja schon eine Tradition der Anerkennung von Kompetenzen, etwa in Frankreich , Finnland, UK oder der Schweiz. Gerade die Schweiz ist hier aus deutscher Perspektive interessant, denn dort gibt es ein Berufsbildungssystem, das unserem ähnelt. Parallel dazu kann man sich dort aber auch Kompetenzen auf Berufsabschlüsse anerkennen lassen.

Kompetenzen

Aber zunächst zurück zur Ratsempfehlung. In Deutschland stellt sich nun also die Frage, wie wir die Kompetenzanerkennung „wuppen“. Wir können das gut oder schlecht machen, das liegt ganz bei uns, aber machen müssen wir etwas – schließlich haben wir die unglückliche Kombination von Fachkräftemangel einerseits und Zuwanderern und Arbeitslosen mit sichtbaren und nützlichen Fähigkeiten andererseits, die aber in Deutschland keine formale Anerkennung erfahren.

Wie könnte das also aussehen, wenn wir es gut machen –  also: so richtig gut? Manchmal stelle ich mir das vor. Versetzen wir uns kurz in die Zukunft. Wir schreiben das Jahr 2020: seit der Europäische Kompetenzrahmen 2018 in Kraft getreten ist, besteht in jedem EU-Mitgliedsstaat die Möglichkeit, die eigenen Kompetenzen feststellen und anerkennen zu lassen. Deutschland hat im Zuge der Einführung ein umfassendes System zur Feststellung, Validierung und Anerkennung von Kompetenzen aufgebaut.

Das kommt vielen Menschen zu Gute, Alexander zum Beispiel. Alexander ist Mitte 40 und hat keinen formalen Berufsabschluss. Nach der Hauptschule hatte er andere Sachen im Kopf als eine Ausbildung zu machen, zum Beispiel möglichst schnell arbeiten und Geld verdienen. Das hat er auch geschafft – Alexander hat mehrere Jobs in der Logistikbranche gehabt und als Hilfskraft in verschiedenen Lagerzentren gearbeitet. Allerdings ist Alexander immer mal wieder arbeitslos und er sieht, dass er weniger verdient als die Kollegen, die eine Ausbildung gemacht haben. Außerdem wünscht er sich mehr zu machen, als immer nur im Lager zu stehen. Er hat selbst Ideen, wie man die Abläufe noch verbessern könnte, aber dafür müsste er auf einer anderen Stelle angestellt sein.

Nach dem neuen System hat Alexander gute Chancen aufzusteigen, sich beruflich zu verbessern und damit künftig Arbeitslosigkeit vorzubeugen. Das BQFG, ehemals auf die Gleichwertigkeitsfeststellung von ausländischen Abschlüssen beschränkt, wurde um ein Recht auf Kompetenzanerkennung erweitert und für Inländer geöffnet. Der § 14 stand dafür Modell. Alexander hat nun einen Rechtsanspruch auf ein Verfahren zur Kompetenzfeststellung. Dabei ist es unerheblich, ob er Ausländer oder Inländer ist und auch seine formale Vorqualifikation spielt dabei keine Rolle.

Im Jobcenter kann Alexander sich beraten lassen. Die Arbeitsagenturen und Jobcenter bieten die Möglichkeit, die eigenen Kompetenzen erfassen zu lassen, um auch Potentiale zu erkennen, die bisher nicht sichtbar oder nicht dokumentiert waren. Alexander macht also einen Termin mit einem Berater. Der schaut gemeinsam mit ihm, welche formalen Qualifikationen er mitbringt und welchen Tätigkeiten er in den letzten Jahren nachgegangen ist. Dabei zählt nicht nur der Beruf, sondern auch was Alexander sonst noch gemacht hat, zum Beispiel ob er ehrenamtlich aktiv war oder im Sportverein. Außerdem erarbeitet der Berater gemeinsam mit Alexander was er beruflich erreichen möchte.

Es zeigt sich, dass Alexander durch seine langjährigen Tätigkeiten in unterschiedlichen Lagern ein fundiertes Verständnis von logistischen Vorgängen hat. Er bringt schon viele der Kompetenzen mit, die ein Fachlagerist braucht. Um die Wissenslücken, die er noch hat, auszugleichen, empfiehlt der Berater Alexander ein Praktikum in einem Fachbetrieb. Das Besondere an diesem Praktikum ist, dass Alexander genau das lernen wird, was ihm noch fehlt. Gemeinsam mit der Arbeitsagentur kann er einen Praktikumsvertrag mit einem Betrieb abschließen, in dem festgeschrieben wird, welche Tätigkeiten er übernehmen wird um sich das fehlende Wissen anzueignen. Die Arbeitsagentur übernimmt während des Praktikums Alexanders Vergütung und unterstützt auch den Praktikumsbetrieb finanziell, damit der Alexander aufnehmen kann.

Mittelfristig würde Alexander auch gerne mehr in der Planung arbeiten und Bürotätigkeiten übernehmen. Der Berater sieht hier noch einige größere Lücken bei Alexander und empfiehlt ihm eine modulare Nachqualifizierung. Die Jobcenter arbeiten eng mit Weiterbildungseinrichtungen zusammen und so kann der Berater Alexander direkt an einen örtlichen Anbieter verweisen, der ein inhaltlich passendes Modul anbietet, das Alexander Kenntnisse vermittelt, die er als Disponent braucht. Alexander kann sogar wählen ob er vor Ort lernen möchte oder lieber digital und selbständig mit einem Lernbegleiter. Die Lehrgangsgebühr zahlt die Arbeitsagentur.

Der Berater begleitet Alexander während des Praktikums und seines Lehrgangs. Er steht für Fragen zur Verfügung und motiviert Alexander weiterzumachen, wenn es mal schwierig wird. Alexander macht sich gut und so empfiehlt der Berater ihm, sich für ein offizielles Anerkennungsverfahren anzumelden. Alexander entscheidet sich für das Anerkennungsverfahren, das eine praktische Prüfung bedeutet, und meldet sich bei seiner örtlichen IHK, um einen Prüfungstermin zu bekommen. Die ursprüngliche Externenprüfung stand Modell für ein Verfahren, das nun rein kompetenzbasiert aufgebaut ist. Jeder, der älter als 25 Jahre ist und keinen formalen Abschluss hat, aber nonformal und informell Kompetenzen erworben hat, kann sich diese nun auf Berufsprofile anerkennen lassen.

Alexander muss ein Fachgespräch mit drei Prüfern der IHK absolvieren, muss sich einen Tag beim Probearbeiten begleiten lassen und einige praktische Aufgaben absolvieren. Das schafft er nach der guten Vorbereitung mit Links und erhält den formalen Abschluss als Fachlagerist. Der Nachweis unterscheidet sich nicht vom klassischen Ausbildungsnachweis, das ermöglicht den Einstieg in einen Beruf zu schaffen, auch ohne eine formale Ausbildung durchlaufen zu haben.

Kurze Zeit später hat Alexander auch seinen Lehrgang absolviert. Er hatte sich für die digitale Variante entschlossen und mit Hilfe seines Lernbegleiters in seinem Tempo und viel von zu Hause aus gelernt. Jetzt hat er neben dem anerkannten Abschluss als Fachlagerist auch einen Kompetenznachweis für einen Großteil der erforderlichen Kompetenzen als Disponent.

Beides hilft Alexander sehr, findet er doch kurz darauf eine Anstellung als Fachkraft für Logistik in einer Firma, die ihn schon bald auch als Disponent einsetzt. Alexander ist für sie ein wertvoller Mitarbeiter, weil er Verständnis für beides mitbringt: Abläufe im Lager genauso wie Abläufe im Büro und der Verwaltung. Weil in der Logistikbranche Fachkräftemangel herrscht, ist Alexanders´ neue Firma schon lange dazu übergegangen Stellen kompetenzbasiert auszuschreiben: wer etwas kann wird eingestellt, auch wenn er keinen formalen Abschluss mitbringt. Hauptsache er versteht seinen Job. Durch die Kompetenzfeststellung und Anerkennung kann Alexander das jetzt belegen. Sein neuer Arbeitgeber hätte ihn sogar ohne das Zertifikat der formalen Anerkennung eingestellt, das Ergebnis der Kompetenzfeststellung aus dem Jobcenter hätte ihm gereicht. Aber Alexander wollte die formale Kompetenzanerkennung, weil er stolz auf das ist, was er kann.

So wie Alexander geht es vielen. Die Möglichkeit Kompetenzen anerkennen zu lassen ist für sie eine große Chance, sei es für ganze Berufe oder einzelne berufsspezifische Domänen. Ein Konsortium von Vertretern aus Wissenschaft und Forschung, der Bundesagentur für Arbeit, Kammern, Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden sorgt für die regelmäßige Anpassung der Kompetenzprofile auf die Weiterentwicklung der Berufe, legt die Prüfungsmodalitäten fest und sichert die Qualität der Beratung, der Feststellungs- und der Anerkennungsverfahren.

Einige Jahre nach der Einführung ist auch empirisch gesichert, dass dieses Verfahren nicht nur das Jobmatching verbessert, sondern vor allem auch eine Chance für Menschen eröffnet, die auf dem Arbeitsmarkt vorher schlechte Karten hatten: die Langzeitarbeitslosenquote hat sich halbiert, Menschen mit Migrationshintergrund haben endlich die gleichen Chancen wie Menschen ohne Migrationshintergrund und auch die Rückkehr in den Arbeitsmarkt nach längerer Pause oder die berufliche Neuorientierung wurden deutlich erleichtert. Die Sorge, Kompetenzanerkennung könne die Stigmatisierung von klassisch benachteiligten Gruppen noch verschlimmern, hat sich nicht bestätigt, da die Kompetenznachweise sich nicht von klassischen Ausbildungsnachweisen unterscheiden und die Prüfungsgremien dafür Sorge tragen, dass unterschiedliche Wege der Kompetenzfeststellung zur Verfügung stehen, also zum Beispiel ein Fachgespräch genauso wie Probearbeiten – je nachdem was sich am besten für den jeweiligen Menschen und den Kompetenznachweis eignet.

Schön wäre das. Eine echte Chance das sonst oft so selektive deutsche Bildungssystem zu öffnen und von der Defizitorientierung zur Ressourcenperspektive zu wechseln – und damit vielen Menschen endlich die Möglichkeit zu geben zu zeigen, was in ihnen steckt. Wir haben dann im wahrsten Sinne des Wortes die „Kompetenzanerkennungskompetenz“. Was werden wir daraus machen?

Bisherige Beiträge zum Blogstöckchen #dukannstwas:

1. „Kompetenzanerkennungskompetenz“  #dukannstwas – Blogstöckchen Teil 1

2. Kompetenzen: „Die Betriebe müssten auch ‚lesen‘ können, was Validierungsergebnisse aussagen“ – Blogstöckchen Teil 2

3. Kompetenzanerkennungskompetenz Bottom-up – #dukannstwas Blogstöckchen Teil 3

4. Die im Dunkel sieht man nicht: Informell erworbene Kompetenzen sichtbar machen – Blogstöckchen Teil 4