Im Strukturwandel fallen Arbeitsplätze weg, während neue entstehen. Anforderungen und Qualifikationen passen nicht mehr zusammen – und so besteht die Gefahr, dass Beschäftigte abgehängt werden, wenn ihre (teilweise geringe) Qualifikation nicht mehr benötigt wird und parallel berufliche Weiterbildung ausbleibt.

Zusammen mit dem Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB) haben wir uns die berufliche Weiterbildung in Deutschland angeschaut. Herausgekommen ist unsere neue Studie zu den Weiterbildungswünschen, – hürden und -potenzialen der Beschäftigten in Deutschland. Die Daten der repräsentativen Befragung von 30- bis 59-jährigen Erwerbstätigen zeigen: 31 Prozent der Helfer:innen geben an, sie wünschten sich eine Weiterbildung. Aber nur bei knapp einem Zehntel mündet dieser Wunsch auch in einen konkreten Plan. Ganz anders sieht das am anderen Ende der Skala aus, bei den hochqualifizierten Expert:innen. Knapp 26 Prozent – und damit etwas weniger als bei den Helfer:innen – sagen, sie würden sich gern weiterbilden. Aber mit zehn Prozent ist die Quote derer, die ihren Wunsch mit einem konkreten Plan verbinden, deutlich höher.

 

 

Ein Blick auf die Hindernisse beruflicher Weiterbildung offenbart: 73 Prozent der Helfer:innen und Angelernten geben an, dass ihr Arbeitgeber sie für Weiterbildung nicht freistelle, gut 50 Prozent sagen, sie seien über ihre Weiterbildungsmöglichkeiten nicht informiert. Knapp ein Viertel gibt außerdem an, ihnen fehle die Zeit, 14 Prozent sagen, sie könnten sich die Weiterbildung finanziell nicht leisten. Anders bei den Hochqualifizierten: Die Freistellung durch den Arbeitgeber fehlt nur bei 27 Prozent. Zumeist sind sie gut orientiert über ihr Weiterbildungsangebot, aber 39 Prozent von ihnen geben an, nicht genug Zeit für eine Weiterbildung zu haben. Finanzielle Gründe spielen für sie nur eine nachgeordnete Rolle. Insgesamt zeigen die Daten, dass es bei der Weiterbildung nicht an der Motivation fehlt, sondern vor allem an den zeitlichen Möglichkeiten, insbesondere betriebliche Freistellungen.

 

 

Eine einjährige Bildungszeit könnte für Chancengerechtigkeit sorgen

Das Konzept der Bildungszeit, wie es die Bundesregierung diskutiert, aber noch nicht umgesetzt hat, könnte hier Abhilfe schaffen. Vorbild ist die bereits seit Jahren etablierte „Bildungskarenz“ in Österreich. Beschäftigte sollen bis zu einem Jahr lang (bei Bildungsteilzeit bis zu zwei Jahre) von ihrer Erwerbsarbeit freigestellt werden – bei Lohnersatz. In unserer Studie schlagen wir vor: Während Beschäftigte im Mindestlohn 100 Prozent Entgelt-Ersatzleistung erhalten, um ihre Lebenshaltungskosten auch während der Weiterbildung vollständig decken zu können, könnte die Zahlung bis zum Durchschnittsentgelt sukzessive auf 60 Prozent abschmelzen. Für Beschäftigte in Bildungsteilzeit würde dann eine anteilige Berechnung gelten. Darüber hinaus könnte analog zum Weiterbildungsgeld für Arbeitslose ein zusätzlicher Betrag von 150 Euro pro Monat für abschlussorientierte Weiterbildungen gezahlt werden. Damit würde ein besonderer Anreiz für solche Weiterbildungen geschaffen, die die Arbeitsmarktchancen dauerhaft erhöhen.

Dem Arbeitgeber sollte eine Vorlaufzeit von bis zu neun Monaten gewährt werden, bevor eine Weiterbildung tatsächlich beginnen kann, um ausreichend Zeit für die Personalplanung zu schaffen. Außerdem müssen Informationen über Weiterbildungsmöglichkeiten leichter zugänglich sein. Hierzu sollte die persönliche Beratung durch die Bundesagentur für Arbeit sowie die aufsuchende Beratung in den Betrieben intensiviert werden. Insgesamt gilt es, die Rahmenbedingungen so anzupassen, dass allen Beschäftigten – von Helfer:innen bis Expert:innen – gleiche Möglichkeiten geboten werden, um nicht diejenigen zu benachteiligen, deren Jobs durch den Strukturwandel ohnehin auf der Kippe stehen.

Veranstaltungseinladung

Die Ergebnisse und Handlungsempfehlungen unserer Studie möchten wir zum einen gemeinsam mit Thomas Hildebrandt, Referatsleiter „Qualifizierung, Weiterbildungsförderung von Beschäftigten, Bildungszeit“ im Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) diskutieren. Zum anderen wird Johannes Schweighofer, Abteilungsleiter „Internationale Arbeitsmarktpolitik und Forschung“ im Bundesministerium für Arbeit und Wirtschaft Österreich, die Diskussion durch die Erfahrungen aus Österreich ergänzen. Erst vor wenigen Tagen wurde eine umfangreiche Evaluation der Bildungskarenz mit notwendigen Reformoptionen veröffentlicht.

 

Web-Veranstaltung

„Mehr Weiterbildung für alle – Fachkräftesicherung durch Bildungszeit“

am Freitag, den 12. April 2024

von 11:30 bis 13:00 Uhr

 

Bei Interesse melden Sie sich gerne unter kompetenzen@bertelsmann-stiftung.de an. Sie erhalten dann einen Einwahllink für ZOOM.

Agenda

11:30 Uhr      Begrüßung | Frank Frick, Director des Projektes „Beschäftigung im Wandel“

11:40 Uhr      Vorstellung der Studienergebnisse | Martin Ehlert (WZB), Luisa Kunze (Bertelsmann Stiftung) und Tobias Ortmann (Bertelsmann Stiftung)

12:10 Uhr      Kommentar und Einordnung: Wo steht die Bildungszeit in Deutschland? | Thomas Hildebrandt (Bundesministerium für Arbeit und Soziales)

12:20 Uhr      Erfahrungen mit der Bildungskarenz in Österreich | Johannes Schweighofer (Bundesministerium für Arbeit und Wirtschaft, Österreich)

12:30 Uhr      Nachfragen und offene Diskussion | Moderation: Roman Wink (Bertelsmann Stiftung)

13:00 Uhr      Ende der Veranstaltung