Zahlen, Fakten und Perspektiven
Einleitung
In der diesjährigen Jugendbefragung der Bertelsmann Stiftung wurden Schüler:innen gefragt, wie sie ihre Chancen einschätzen, nach der Schule einen Ausbildungsplatz zu finden (vgl. Barlovic et al., 2024). Zwar sind die Jugendlichen insgesamt recht optimistisch gestimmt – beinahe 80 % der Befragten sind sich „ziemlich sicher“ oder sogar „sehr sicher“, in eine Ausbildung einmünden zu können. Doch dieser Befund verändert sich, wenn der Migrationshintergrund berücksichtigt wird: Von den Jugendlichen, die selbst nicht in Deutschland geboren wurden oder bei denen mindestens ein Elternteil aus dem Ausland kommt, gibt beinahe ein Drittel (30,6 %) an, sich nicht sicher zu sein oder sogar gar nicht daran zu glauben, einen Ausbildungsplatz zu finden. Bei den Befragten ohne Migrationshintergrund waren es dagegen nur knapp 17 %.
Angesichts dieser deutlichen Diskrepanz lohnt es sich, die Ausbildungssituation von jungen Menschen mit Migrationshintergrund genauer zu beleuchten. Wie stellt sich ihre Lage auf dem Ausbildungsmarkt dar? Der vorliegende Beitrag präsentiert Statistiken und wissenschaftliche Befunde zu diesem Thema.
Infobox: Zum Begriff „Migrationshintergrund“
Die Verwendung des Begriffs „Migrationshintergrund“ birgt einige Tücken. Denn erstens, besteht kein allgemeiner Konsens über die Definition von „Migrationshintergrund“. In wissenschaftlichen Studien wird das Konzept oft auf unterschiedliche Weise definiert, was eine Vergleichbarkeit der Ergebnisse erschwert (vgl. Petschel/Will, 2020). Bei der Interpretation von Befunden ist daher stets darauf zu achten, wie der Migrationshintergrund im Einzelfall statistisch erfasst wurde.
Zweitens verbergen sich hinter der vereinheitlichenden Bezeichnung zum Teil sehr unterschiedliche Lebensrealitäten (vgl. El-Mafaalani, 2023). Die individuellen Erfahrungen im Alltag und auf dem Ausbildungsmarkt können sich auch innerhalb dieser Gruppe stark unterscheiden. Unterschiede, gerade in Bezug auf die Zugangsmöglichkeiten zu einer betrieblichen Ausbildung, bestehen etwa zwischen Menschen mit und ohne eigene Fluchterfahrung (vgl. Eberhard/Schuß, 2021).
Drittens handelt es sich bei dem Begriff „Migrationshintergrund“ um eine zum Zweck der Datengenerierung eingeführte Fremdzuschreibung, die nicht notwendigerweise mit dem Selbstbild übereinstimmt (vgl. Kunz, 2015). Gleichzeitig erfasst der statistische Migrationshintergrund nicht jene Personen, deren Familien schon seit Generationen in Deutschland wohnen, die aber dennoch eine Ungleichbehandlung erfahren, weil sie als „nicht deutsch“ wahrgenommen werden.
Bewerbung auf einen Ausbildungsplatz
Um herauszufinden, ob ein (vermuteter) Migrationshintergrund einen Einfluss auf den Bewerbungserfolg hat, gibt es eine bewährte Untersuchungsmethode. Dabei verschicken Forscher:innen eine Vielzahl fiktiver Bewerbungen an verschiedene Unternehmen. Diese Bewerbungen sind gleichwertig oder identisch. Abschlüsse, Noten, Berufserfahrung und ähnliche Merkmale unterscheiden sich nicht – einzig der Nachname variiert. Bei der Hälfte der Bewerbungen steht ein typisch deutscher Name unter dem Anschreiben, bei der anderen Hälfte z. B. ein arabischer oder türkischer Nachname. Dann wird verglichen, welche der zwei Bewerbungsvorlagen durchschnittlich häufiger mit einer Einladung zum Bewerbungsgespräch beantwortet wird. Da die Bewerbungen ansonsten identisch sind, können etwaige Unterschiede im Bewerbungserfolg auf die Nachnamen, die einen Migrationshintergrund signalisieren, zurückgeführt werden.
Ein solches Feldexperiment des Sachverständigenrats deutscher Stiftungen für Integration und Migration, für das Bewerbungen mit männlichen türkischem und männlichen deutschem Namen an 1.794 Ausbildungsbetriebe verschickt wurden, kam zu folgendem Ergebnis: Nicht nur bekommen Bewerber mit türkischem Nachnamen deutlich seltener überhaupt eine Rückmeldung; diese ist auch wesentlich häufiger negativ (vgl. Schneider et al., 2014). So wurde jeder fünfte fiktive Bewerber mit deutschem Namen zum Vorstellungsgespräch eingeladen, von den Bewerbern mit türkischem Namen hingegen nur knapp jeder Siebte (vgl. Abbildung 1).
Die Studienautor:innen fassen zusammen:
„Schüler mit einem türkischen Namen haben auch bei ansonsten vollkommen gleichen Ausgangsvoraussetzungen deutlich schlechtere Aussichten, zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen zu werden, als Schüler mit einem deutschen Namen.“ (Schneider et al., 2014: 4)
Die BA/BIBB-Befragung von Ausbildungsbewerber:innen zeigt außerdem, dass junge Menschen mit Migrationshintergrund häufiger erleben, dass vereinbarte Bewerbungsgespräche, Praktika und Probearbeitstermine wieder abgesagt werden (vgl. Eberhard et al., 2021).
Einmündung in die Ausbildung
Neben Befragungen sind die bei der Bundesagentur für Arbeit registrierten Ausbildungsplatzsuchende eine wichtige Datenquelle für das Geschehen auf dem Ausbildungsmarkt. Laut der Statistik der BA/BIBB-Bewerberbefragung (vgl. BIBB, 2022) zeigen sich deutliche Unterschiede bei den Einmündungsquoten in betriebliche Ausbildung: Unter Ausbildungsplatzsuchenden ohne Migrationshintergrund lag die Einmündungsquote in den letzten Jahren stets höher (2021: 43 %) als unter Ausbildungsplatzsuchenden mit Migrationshintergrund (2021: 29 %; vgl. Abbildung 2). Dabei zeigen sich Unterschiede zwischen den Bildungsniveaus (vgl. Beicht/Walden, 2014): Insbesondere unter jungen Menschen mit niedrigem Bildungsabschluss macht sich ein Unterschied zwischen denjenigen mit und ohne Migrationshintergrund bemerkbar.
Auch in andere vollqualifizierende Ausbildungsformen münden Personen mit Migrationshintergrund etwas seltener ein. Die Unterschiede bei der betrieblichen Ausbildung werden also nicht durch schulische Ausbildungsformen kompensiert. Dabei gibt es deutliche Unterschiede zwischen den Herkunftsregionen – so haben v. a. Jugendliche mit einem türkischen oder arabischen Migrationshintergrund durchschnittlich deutlich geringere Chancen, einen Ausbildungsplatz zu erhalten als diejenigen, die selbst oder deren Eltern etwa in einem osteuropäischen Land geboren wurden (vgl. BIBB, 2018).
Damit bleibt zunächst die Frage offen, wie es dazu kommt. Es gibt verschiedene Merkmale, die einen Einfluss auf die Wahrscheinlichkeit haben können, für eine Ausbildungsstelle akzeptiert zu werden. Die Durchschnittswerte dieser Merkmale unterscheiden sich zwischen Personen mit und ohne Migrationshintergrund. Insbesondere ist hier das formale Schulbildungsniveau zu nennen (vgl. BMBF, 2024), aber auch Sprachkenntnisse (vgl. Esser, 2006), der Wohnort, die Kenntnis des Ausbildungssystems (vgl. Beicht, 2015), die individuellen Berufswünsche (vgl. Schels/Schwarz, 2020) und das allgemeine Interesse an einer Ausbildung (vgl. Beicht/Walden, 2019) können eine Rolle beim Einmündungserfolg spielen. Statistische Auswertungen zeigen, dass all diese Faktoren die geringeren Einmündungsquoten von Menschen mit Migrationshintergrund zum Teil erklären können – allerdings nicht vollständig.
Verschiedene Studien legen nahe, dass die Chancen von Jugendlichen mit Migrationshintergrund bei der Ausbildungssuche selbst unter Berücksichtigung der genannten Einflussfaktoren geringer sind als die von Bewerber:innen ohne Migrationshintergrund (vgl. z.B. Granato/Christ, 2022). Da die oben genannten, produktivitätsrelevanten Merkmale in statistischen Modellen berücksichtigt bzw. „kontrolliert“ wurden und trotzdem noch ein Unterschied zwischen Personen mit und ohne Migrationshintergrund besteht, kann ein gruppenspezifisches Selektionsverhalten vonseiten der Betriebe nicht ausgeschlossen werden (vgl. Scherr et al., 2015). Tatsächlich gaben in der Vergangenheit rund ein Fünftel der jungen Menschen mit Migrationshintergrund an, dass sie sich bei der Suche nach einer Ausbildungsstelle aufgrund ihrer Herkunft diskriminiert fühlten (vgl. BIBB, 2010).
Zusammenfassung und Ausblick
Das Geschehen aus dem Ausbildungsmarkt unterliegt komplexen Zusammenhängen, sodass die Situation von Ausbildungsinteressierten und Auszubildenden mit Migrationshintergrund differenziert betrachtet werden muss. Dennoch zeigt sich bei Bewerbung und Einmündung, dass für junge Menschen mit Migrationshintergrund schlechtere Ausgangsbedingungen vorliegen als für diejenigen ohne Migrationshintergrund,
Dies liegt zum einen daran, dass bereits bestehende Ungleichheiten, angefangen bei der frühkindlichen Bildung und den familiär vermittelten Sprachkenntnissen bis hin zu den Schulnoten, sich über die gesamte Bildungskarriere hinweg fortsetzen. Diese schlechteren Ausgangsbedingungen von jungen Menschen mit Migrationshintergrund wirken sich beim Übergang in die Ausbildung, negativ auf den Bewerbungserfolg aus. Zum anderen können die genannten Faktoren den unterschiedlichen Einmündungserfolg nicht vollständig erklären, was den Einfluss diskriminierender Einstellungen und Verhaltensweisen nahelegt.
Mit Blick auf die Zukunft müssen also zwei Probleme gelöst werden: Auf der einen Seite bedarf es vermehrter Anstrengungen, Chancengleichheit im gesamten Bildungsverlauf zu gewährleisten und zielgruppenspezifische Förderangebote zu schaffen. Auf der anderen Seite müssen Diskriminierung und diskriminierende Vorurteile wirksam abgebaut werden.
Dabei gehen viele Unternehmen bereits mit gutem Beispiel voran. So beteiligen sich etwa verschiedenste Berliner Unternehmen im öffentlichen Sektor – von der Polizei bis zur Stadtreinigung – in dem 2006 ins Leben gerufenen Projekt „Berlin braucht dich!“, das bei der Umsetzung einer diversen und diskriminierungskritischen Organisations- und Personalentwicklung unterstützt. Es gibt mittlerweile eine Vielzahl solcher und ähnlicher Unterstützungsangebote und -initiativen, die Unternehmen bei der gezielten Anwerbung von Personen mit Migrationshintergrund im Allgemeinen und der Integration von Geflüchteten im Besonderen zur Seite stehen. Zu nennen sind hier etwa das Programm „Kompass“ der JOBLINGE, die rund 70 Willkommenslots:innen, die bundesweit im Einsatz sind, um Unternehmen bei der Integration geflüchteter Menschen zu helfen, oder das von der Deutschlandstiftung Integration geförderte Mentor:innenprogramm für Azubis mit Migrationshintergrund in der Gastronomie und Hotellerie.
Derartige Programme sind ebenso zu begrüßen wie das individuelle Engagement vieler Ausbildungsbetriebe. Die Zahlen zeigen jedoch, dass es noch immer der Anstrengungen aller beteiligten Akteure bedarf, um bestehende (Chancen-)Ungleichheiten abzubauen und für alle Menschen einen gerechten Zugang zur Ausbildung zu ermöglichen.
Literatur
Barlovic, Ingo; Ullrich, Denise; Wieland, Clemens (2024): Ausbildungsperspektiven 2024. Eine Befragung junger Menschen. Herausgegeben durch die Bertelsmann Stiftung, Gütersloh. Online verfügbar unter: www.chance-ausbildung.de/jugendbefragung2024, zuletzt geprüft am 19.6.24.
Beicht, Ursula (2015): Berufliche Orientierung junger Menschen mit Migrationshintergrund und ihre Erfolgschancen beim Übergang in betriebliche Berufsausbildung. Überblick über Ergebnisse quantitativer Forschung der letzten zehn Jahre in Deutschland sowie vergleichende Analysen auf Basis der BIBB-Übergangsstudien und der BA/BIBB-Bewerberbefragungen. In: Wissenschaftliche Diskussionspapiere 163. Bonn: BIBB.
Beicht, Ursula; Walden, Günter (2014): Einmündungschancen in duale Berufsausbildung und Ausbildungserfolg junger Migranten und Migrantinnen. In: BIBB Report 5. Bonn: BIBB. Online verfügbar unter: https://www.bibb.de/dienst/publikationen/de/7462, zuletzt geprüft am: 7.6.24.
Beicht, Ursula; Walden, Günter (2019): Der Einfluss von Migrationshintergrund, sozialer Herkunft und Geschlecht auf den Übergang nicht studienberechtigter Schulabgänger/- innen in berufliche Ausbildung. In: Wissenschaftliche Diskussionspapiere 198. Bonn: BIBB. Online verfügbar unter: https://www.econstor.eu/bitstream/10419/236162/1/bibb-wdp198.pdf, zuletzt geprüft am: 30.7.24.
BIBB – Bundesinstitut für Berufliche Bildung (2010): Datenreport zum Berufsbildungsbericht 2010. Informationen und Analysen zur Entwicklung der beruflichen Bildung. Bonn: BIBB.
BIBB – Bundesinstitut für Berufliche Bildung (2018): Datenreport zum Berufsbildungsbericht 2018. Informationen und Analysen zur Entwicklung der beruflichen Bildung. Bonn: BIBB.
BIBB – Bundesinstitut für Berufliche Bildung (2022): Datenreport zum Berufsbildungsbericht 2022. Informationen und Analysen zur Entwicklung der beruflichen Bildung. Bonn: BIBB.
BMBF – Bundesministerium für Bildung und Forschung (2024): Berufsbildungsbericht 2024. Online verfügbar unter: https://www.bmbf.de/bmbf/de/bildung/berufliche-bildung/strategie-und-zusammenarbeit/der-berufsbildungsbericht/der-berufsbildungsbericht_node.html, zuletzt geprüft am: 30.7.24.
Eberhard, Verena; Schuß, Eric (2021): Chancen auf eine betriebliche Ausbildungsstelle von Geflüchteten und Personen mit und ohne Migrationshintergrund. Bonn: BIBB.
Eberhard, Verena; Heinecke, Marcel; Christ, Alexander; Neuber-Pohl, Caroline; Schuß, Eric (2021): Auf Ausbildungsstellensuche während der Corona-Pandemie: Wie haben Jugendliche ihre Bewerbungsphase im Jahr 2020 erlebt? Bonn: BIBB.
El-Mafaalani, Aladin (2023): Diskriminierung von Menschen mit Migrationshintergrund und Migrantisierten. In: Scherr, Albert; Reinhardt, Anna Cornelia; Ders. (Hrsg.): Handbuch Diskriminierung. Wiesbaden: Springer VS.
Esser, Hartmut (2006): Migration, Sprache und Integration. Berlin: Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung. Online verfügbar unter: https://nbn-resolving.org/urn:nbn:de:0168-ssoar-113493, zuletzt geprüft am: 30.7.24.
Granato, Mona; Christ, Alexander (2022): Integration junger Geflüchteter in berufliche Ausbildung: Zugang zu und Gestaltung von beruflicher Ausbildung. In: Ertl, Hubert; Granato, Mona; Helmrich, Robert; Krekel, Elisabeth M. (Hrsg.): Integration Geflüchteter in Ausbildung und Beruf. Chancen für Geflüchtete und Herausforderungen für das Bildungssystem, Bonn: BIBB, S. 26‒38.
Kunz, Thomas (2015): Happy Birthday, Migrationshintergrund? Überlegungen zum 10. Geburtstag einer Fremdzuschreibung. In: Migration und Soziale Arbeit 37 (3), S. 258‒264.
Petschel, Anja; Will, Anne-Kathrin (2020): Migrationshintergrund – ein Begriff, viele Definitionen. In: WISTA – Wirtschaft und Statistik 72 (5), S. 78‒90.
Schels, Brigitte; Schwarz, Lisa (2020): Sind Auszubildende mit Migrationshintergrund schlechter gestellt? Ressourcen, Berufsaspirationen und ethnische Unterschiede im sozioökonomischen Status des Ausbildungsberufs. In: Soziale Welt 71 (4), S. 407‒439.
Schneider, Jan; Yemane, Ruta; Weinmann, Martin (2014): Diskriminierung am Ausbildungsmarkt. Ausmaß, Ursachen und Handlungsperspektiven. Herausgegeben vom Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration (SVR). Berlin: SVR GmbH. Online verfügbar unter: SVR-FB_Diskriminierung-am-Ausbildungsmarkt.pdf (svr-migration.de), zuletzt geprüft am: 29.5.24.
Scherr, Albert; Janz, Caroline; Müller, Stefan (2015): Diskriminierung in der beruflichen Bildung. Wie migrantische Jugendliche bei der Lehrstellenvergabe benachteiligt werden. Wiesbaden: Springer VS.
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