In wenigen Monaten jährt sich der Fall der Berliner Mauer zum 35. Mal. Doch auch heute noch steht in öffentlichen Debatten zur Lage in Ost und West das Trennende weiterhin oft im Vordergrund – zuletzt etwa bei den Europa-Wahlen und ganz aktuell auch mit Blick auf die Landtagswahlen in Brandenburg, Sachsen und Thüringen. Doch wie sieht die Lage auf den Arbeitsmärkten in Ost und West aus? Für die meisten in ganz Deutschland ist Erwerbstätigkeit der wichtigste Faktor für den Lebensstandard. Einen Arbeitsplatz zu haben, hat großen Einfluss auf das Selbstwertgefühl, die Einschätzung der Lebensqualität und nicht zuletzt auf das Zugehörigkeitsgefühl und den gesellschaftlichen Zusammenhalt.

Unser neues Focus Paper „Entwicklung und Zukunft des ostdeutschen Arbeitsmarkts“ verwendet aktuell verfügbare Daten zum Status quo und zur Entwicklung des Arbeitsmarktes in Ost- und Westdeutschland, um auf Basis zentraler Indikatoren ein aussagekräftiges Bild über Arbeitslosigkeit und Beschäftigung, Löhne und Produktivität, Arbeitszeiten und Arbeitsbedingungen sowie subjektive Wahrnehmungen der Arbeitsmarktsituation zu zeichnen.

Seit der Wende hat sich die Arbeitslosenquote in Ostdeutschland drastisch reduziert, von knapp 19 % auf 7,2 % im Jahr 2023. ? Die Erwerbstätigenquote liegt nun bei 76,7 %, fast gleichauf mit dem Westen (77,3 %). Das Lohnniveau im Osten bleibt jedoch weiterhin unter dem westdeutschen Durchschnitt, was auf die geringere Produktivität in zentralen Wirtschaftsbereichen wie dem verarbeitenden Gewerbe zurückzuführen ist. Beschäftigte in Ostdeutschland verdienen im Schnitt 15,9 % weniger als ihre Kolleg:innen im Westen (3.157 Euro vs. 3.752 Euro). Erfreulich ist, dass der Anteil der Arbeitnehmer:innen im Niedriglohnsektor im Osten von einst fast 40% auf nun 26,7% zurückgegangen ist.

Ein Problem ist die Abwanderung junger Menschen, insbesondere junger Frauen, was die gesellschaftliche Alterung beschleunigt. Seit der Wiedervereinigung hat der Osten mehr als 731.000 Menschen unter 25 Jahren verloren. Zwischen 2017 und 2022 war der Saldo für Ostdeutschland mit 18.300 zugewanderten Personen zwar positiv, kehrte sich jedoch im letzten Jahr mit rund 3.000 abgewanderten Personen wieder ins Negative. Insbesondere Ausländer:innen haben den Osten im letzten Jahr in Richtung Westen verlassen.

 

Trotz dieser Herausforderungen gibt es auch positive Entwicklungen: Die Beschäftigungsbedingungen für Frauen sind im Osten deutlich besser, was sich in einem geringeren Gender Pay Gap (7 % im Osten vs. 19 % im Westen) und einer höheren Vollzeitbeschäftigung (67 % im Osten vs. 52 % im Westen) widerspiegelt.

Trotz der objektiven Fortschritte bleibt die subjektive Wahrnehmung der Arbeitsmarktsituation in Ostdeutschland oft negativ. Viele Menschen empfinden weiterhin eine Benachteiligung, die tief im kollektiven Bewusstsein verankert ist. Diese Wahrnehmung wird durch die hohe Arbeitslosigkeit und den Exodus junger Menschen in der Nachwendezeit verstärkt. Auch heute noch schätzen viele Ostdeutsche das Risiko, ihren Arbeitsplatz zu verlieren, subjektiv höher ein, als es die objektiven Arbeitsmarktdaten ausweisen. Diese Diskrepanz zwischen objektiver Realität und subjektiver Wahrnehmung zeigt, wie wichtig es ist, nicht nur wirtschaftliche, sondern auch soziale und psychologische Faktoren in der Arbeitsmarktpolitik zu berücksichtigen.

Wir betonen die Notwendigkeit, Ostdeutschland attraktiver für Einwanderung zu machen und die Qualifizierung der Arbeitskräfte zu fördern, um den Fachkräftemangel zu bekämpfen. Die Ansiedlung von Großunternehmen wie beispielsweise Tesla, Intel und TSMC könnte dabei eine Schlüsselrolle spielen. Sie schaffen nicht nur gut bezahlte Arbeitsplätze, sondern fördern auch die regionale Wirtschaft drumherum.