Die Regeln für die betriebliche Ausbildung macht der Bund. Warum also braucht es einen Ländermonitor berufliche Bildung, wurden meine Kollegen und ich in der Bertelsmann Stiftung des Öfteren gefragt? In der Tat, einen systematischen Ländervergleich hatte es bis zum vergangenen Jahr nie gegeben. Dabei hat die Landespolitik großen Einfluss auf die Berufsaussichten von Jugendlichen, auf die Arbeitsmarktsituation und auf die Nachwuchsförderung von Fachkräften. Wie groß, das lässt sich an den beiden Ländern Baden-Württemberg und Bayern ablesen.
Bayern und Baden-Württemberg: Beide zählen zu den drei reichsten Flächenländern, gemessen am Bruttoinlandsprodukt pro Einwohner. Die Arbeitslosenquote dort ist die bundesweit niedrigste. Die Wirtschaft brummt, die Steuereinnahmen sprudeln. Beide Bundesländer stehen für die Erfolgsgeschichte der industriellen Entwicklung in der neueren deutschen Geschichte. In diese Erfolgsgeschichte eingeschlossen ist eine weitere, nämlich die der Facharbeiterausbildung im dualen System als Kernstück des deutschen Modells der Berufsausbildung.
Wirtschaft brummt, Steuern sprudeln
Auch in wichtigen Eckdaten für die Situation der Berufsausbildung liegen die beiden südlichen Nachbarn eng beieinander. Das Angebot an Lehrstellen ist gut – gerade mal sechs Prozent Rückgang zwischen 2007 und 2013, das ist bundesweit spitze. In beiden Ländern arbeiten überdurchschnittlich viele Beschäftigte in Produktionsberufen. Ebenfalls mehr Beschäftigte als im Bundesdurchschnitt sind in Großbetrieben tätig. Sogar die ungewöhnliche, vergleichsweise günstige demografische Ausgangslage teilen Bayern und Baden-Württemberg: Die Geburtenraten brechen bei weitem nicht so stark ein wie in vielen anderen Bundesländern, vor allem in Ostdeutschland.
Und doch: In einem wesentlichen Punkt könnten die beiden Länder unterschiedlicher kaum sein. Während Bayern alles versucht, um möglichst viele Jugendliche nach der Schule direkt in die betriebliche Ausbildung zu bringen, investiert Baden-Württemberg wie kein anderes Land in die Pufferzone zwischen Schule und Berufsausbildung, das sogenannte Übergangssystem.
Zwei Philosophien: Erst Übergangssystem oder sofort in die Lehre?
In Bayern finden 62,4 Prozent der Schulabgänger, die nicht zum Studium gehen, direkt eine Lehrstelle. Rekord in Deutschland. Das Übergangssystem – in der Regel eine Art Warteschleife, während der die Jugendlichen mit Ersatzmaßnahmen fortgebildet werden, aber keinen Berufsabschluss erwerben können – ist nirgendwo so klein wie in Bayern (15,2 Prozent). In Baden-Württemberg ist es genau umgekehrt: Nur 45,3 Prozent der Jugendlichen, die einen Beruf erlernen wollen, gehen direkt in die betriebliche Ausbildung. Das ist der Tiefstwert für Deutschland. Nicht viel weniger, 37,4 Prozent, landen im Übergangssystem. Mehr als in jedem anderen Bundesland.
Welches Modell ist besser? Normalerweise spricht alles für das bayerische Modell. Die dortige Staatsregierung investiert seit längerem in die Ausbildungsinitiative Fit for Work. In dieser werden insbesondere die Jugendlichen unterstützt, die es am Stellenmarkt schwerer haben. Das zahlt sich aus: Nirgendwo haben Hauptschüler so gute Aussichten auf eine Lehrstelle wie in Bayern. 71 Prozent der Bewerber mit Hauptschulabschluss finden einen vollqualifizierenden Ausbildungsplatz. Bundesweit schaffen das nur 52 Prozent. Auch Bewerber ohne deutschen Pass haben bessere Chancen als im Bundesdurchschnitt (65 zu 54 Prozent).
Baden-Württemberg allerdings ist wegen des großen Übergangssystems keineswegs sofort ein Problemland. Das liegt daran, dass von den rund 57.000 Jugendlichen, die 2013 nur ins Übergangssystem fanden, mehr als 42.500 auf eine Berufsfachschule gehen. Zum Vergleich: In Bayern waren das im selben Jahr 309 (!) Jugendliche. Die Jugendlichen, die danach in eine betriebliche Ausbildung gehen, bekommen die Berufsfachschule in Baden-Württemberg angerechnet – das erste Lehrjahr müssen sie nicht mehr absolvieren. Im Übergangssystem verschenken die Baden-Württemberger demnach weit weniger Zeit als in vielen anderen Ländern. Zumal Baden-Württemberg in die Berufsschulen investiert: jährlich 5.000 Euro pro Schüler, 700 Euro mehr als im Bundesdurchschnitt.
Duales System funktioniert prächtig – für den, der reinkommt
Zwei ganz unterschiedliche Modelle also. Zwei ganz unterschiedliche Strategien der Landesregierungen. Und die Resultate? Verblüffend ähnlich. Beide Berufsbildungssysteme sind die effektivsten in ganz Deutschland: geringste Auflösungsquote bei den Ausbildungsverträgen, höchste Absolventenquote. Wer eine Lehrstelle bekommt, der schafft auch den Berufsabschluss, der bekommt auch einen guten Job, so könnte man die vereinfachte Rechnung aufmachen.
Aber können zwei der reichsten Bundesländer damit zufrieden sein, wenn wie in Bayern immer noch 12,1 Prozent der Beschäftigten über keine abgeschlossene Berufsausbildung verfügen? Baden-Württemberg liegt mit 14,2 Prozent ebenfalls über dem Bundesdurchschnitt von 11,7 Prozent. Sichert das auf Dauer den Bedarf an Fachkräften, wenn offensichtlich das duale System hervorragend funktioniert, aber viele Menschen dort gar keinen Einlass finden? Ich habe daran meine Zweifel.
Beide Modelle haben ihre Nachteile
Schon jetzt offenbaren sich Tücken der jeweiligen Strategien. In Bayern schafft es das etwas im Schatten stehende Schulberufssystem nicht, regionale Unterschiede in der Wirtschaftskraft auszugleichen. In Bayern gilt, anders als in Baden-Württemberg: Wo das Angebot an Lehrstellen dünn ist, herrscht höhere Jugendarbeitslosigkeit. Dort haben Bewerber ohne deutschen Pass direkt deutlich schlechtere Chancen auf einen Ausbildungsplatz als ihre deutschen Konkurrenten.
In Baden-Württemberg wiederum haben Hauptschüler und Ausländer schlechtere Aussichten auf eine Lehrstelle als bundesweit. Wer als Hauptschüler ohne deutschen Pass eine Lehrstelle sucht, hat ganz schlechte Karten: Lediglich 27 Prozent von ihnen schaffen den Sprung ins duale System. Damit liegt Baden-Württemberg im Ländervergleich im unteren Drittel. Noch sorgenvoller macht mich diese Zahl angesichts des hohen Migrationsanteils in der heranwachsenden Generation. Unter den 15- bis 24-Jährigen hat jeder Dritte in Baden-Württemberg ausländische Wurzeln. Das ist Platz 1 unter den Flächenstaaten.
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