Im ersten Beitrag wurde die Blogreihe „Coaching im Rahmen von Arbeitsmarkt- und Qualifizierungsmaßnahmen – Nutzen und Erfolgsgaranten“ eingeleitet. Dieser zweite Beitrag umfasst ein erstes Praxisbeispiel für Coaching.
Auf Initiative des Ministeriums für Arbeit, Integration und Soziales NRW und der Regionaldirektion Nordrhein-Westfalen der Bundesagentur für Arbeit wurde zwischen Dezember 2016 und November 2020 an neun Standorten in Nordrhein-Westfalen das „Modellprojekt zur Förderung geringqualifizierter Jugendlicher und Erwachsener“ durchgeführt.
Zielsetzung, Finanzierung und Evaluation
Ziel des Projekts war die modulare Nachqualifizierung und die Arbeitsmarktintegration von Geringqualifizierten. Konkreter richtete sich das Projekt an 21- bis 45-jährige Personen, die zum Projektzeitpunkt Grundsicherung bezogen und die keinen Berufsabschluss besaßen. Die Qualifizierungsmaßnahmen wurden vom Ministerium für Arbeit, Integration und Soziales NRW und von der Bundesagentur für Arbeit bezahlt. Zusätzlich erhielten die Teilnehmenden nach jedem absolvierten Nachqualifizierungsmodul eine Prämie durch Mittel des Europäischen Sozialfonds. Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) evaluierte das Projekt mithilfe von qualitativen Interviews mit den Coaches, den Lehrkräften und den Teilnehmenden.
Private Probleme und beruflicher Misserfolg der Teilnehmenden beeinflussen sich gegenseitig
Neben den Qualifizierungsbedarfen berücksichtigt das Modellprojekt die privaten Problemlagen der Menschen, zum Beispiel Wohnungsnot, Schulden oder psychische Erkrankungen. Diese galt es gemeinsam mit dem Coach zu bewältigen, damit die Teilnehmenden sich auf ihre berufliche Entwicklung konzentrieren konnten. Solange die Teilnehmenden akute persönliche Probleme aufweisen, ist eine nachhaltige Arbeitsmarktintegration in der Regel nicht realisierbar. Daher wurde Coaching in dem Projekt als Instrument zur Unterstützung und Stabilisierung der Teilnehmenden eingesetzt. Ziel des Coachings war die Bewältigung der individuellen Problemlagen, die Teilnehmende alleine nicht klären konnten. Durch das Coaching sollte vermieden werden, dass Teilnehmende die Nachqualifizierungsmaßnahme abbrechen.
Coaching als „Hilfe zur Selbsthilfe“
Die Coaches waren Mitarbeitende der Jobcentren, die jeweils in ihrer Region 40 Teilnehmende betreuten. Einige Coaches bezogen im Rahmen des Projekts vollständig ein Büro bei dem Bildungsträger, der die Nachqualifizierung durchführte. Andere Coaches waren lediglich zu festen Tagen oder Terminen beim Bildungsträger. Die Evaluation zeigt, dass die alltägliche Präsenz der Coaches vor Ort positive Effekte hat. Einerseits fanden dadurch häufiger Gespräche mit den Teilnehmenden statt. Zum anderen empfanden die Teilnehmenden mehr Vertrauen gegenüber dem Coach. Die tägliche Anwesenheit des Coaches ermöglichte spontane Gespräche, in denen Teilnehmende ihre akuten Fragen und Anliegen loswerden konnten. Das einfache Zuhören und die niederschwellige Beratung durch die Coaches reichten dabei häufig aus, damit die Teilnehmenden selbstständig Lösungen für ihre Situation fanden und sich für die Fortsetzung der Maßnahme motivierten. Diese alltagsnahe Hilfeleistung durch „Hilfe zur Selbsthilfe“ erwies sich als besonders nützlich bei der Stärkung der Selbstwirksamkeit der Teilnehmenden. Eine verbesserte Selbstwirksamkeit diente ihnen wiederum bei der Bewältigung eigener Krisen.
Weitere Tätigkeiten der Coaches
Trotzdem reichten Gespräche allein für die Beseitigung bestimmter Problemlagen der Teilnehmenden nicht immer aus. In den Fällen nahmen die Coaches den Teilnehmenden zusätzlich gewisse Arbeit ab. Dazu zählte beispielweise die Ordnung von Rechnungen, um einen Überblick über die Schuldenproblematik zu erhalten. Neben der Unterstützung der Teilnehmenden übernahmen die Coaches auch noch steuerungsbezogene Aufgaben. Dazu zählt der regelmäßige Austausch mit fachlichen Anleitenden und Lehrkräften, die Mitgestaltung des Maßnahmeprogramms und die Kontrolle der Durchführung beim Bildungsträger. Die Coaches empfanden die Kombination von der individuellen Begleitung der Teilnehmenden und dem Projektmanagement als sinnvoll und hilfreich, um jederzeit über den Ablauf des Projekts im Bilde zu sein. So konnten die Coaches beispielweise schnell intervenieren, wenn Teilnehmende unzufrieden mit der Durchführung beim Bildungsträger waren.
Probleme im Rahmen des Coachings
Die Coaches kritisierten häufig, dass sie von ihren Arbeitgebenden nicht klar über ihre Befugnisse informiert wurden. So übernahmen einige Coaches beispielweise zahlreiche Botengänge für die Teilnehmenden, was nicht zu den üblichen Aufgaben der Coaches zählte. Ebenfalls problematisch war, dass viele Teilnehmende eine psychotherapeutische oder sozialpädagogische Ausrichtung des Coachings erwarteten. Vielen Coaches viel es schwer, solche Ersuche abzuwenden und die Teilnehmenden stattdessen an entsprechende Expert:innen zu vermitteln.
Handlungsempfehlungen zur Optimierung
Aus den empirischen Befunden des Modellprojekts ergaben sich Lernchancen für zukünftige Coachingansätze. Zu den wichtigsten Handlungsempfehlungen für die Optimierung von Coaching gehören die Folgenden:
- Das Jobcenter sollte die Coaches präzise über die Aufgaben und die Grenzen ihrer Tätigkeiten aufklären, um ein einheitliches und effizientes Vorgehen der Coaches zu gewährleisten.
- Kann den Teilnehmenden durch die niederschwellige Beratung der Coaches nicht bei ihren Problemen geholfen werden, sollten die Coaches sie an entsprechende Expert:innen vermitteln, zum Beispiel Psycholog:innen.
- Die Coaches solltenin ein Team von Kolleg:innen im Jobcenter integriert werden, in dem kollegiale Fallberatung stattfindet, wodurch die Coaches Zustimmung oder konstruktives Feedback für ihre Arbeit erhalten.
- Die Coaches sollten ein Büro beim durchführenden Bildungsträger beziehen, um täglich für Gesprächsbedarf der Teilnehmenden zur Verfügung zu stehen.
Positive Resultate
Insgesamt wird das Modellprojekt durch das IAB als „bemerkenswerter Erfolg“ bewertet. Dieser zeichnet sich u.a. durch die folgenden Aspekte aus:
- Mithilfe des Coachings wurden Probleme der Teilnehmenden bewältigt, zum Beispiel Lern- und Leistungsdruck.
- Durch den Austausch mit den Coaches wurden verschiedene Lernprozesse der Teilnehmenden angeregt, beispielsweise im Umgang mit Konflikten.
- Durch das Coaching entwickelten einige Teilnehmende die Bereitschaft mit ihren Problemen professionelle Hilfe außerhalb des Coachings anzunehmen, wodurch sie ihre individuellen Krisen teils überwinden konnten.
Die Ergebnisse der Evaluation weisen darauf hin, dass durch das Coaching Abbrüche der Maßnahme verhindert wurden. Gerade die Mehrheit der Teilnehmenden mit privaten Problemlagen durch Wohnungsnot, Schulden oder psychische Erkrankungen hat demnach durch das Coaching profitiert. Die Minderheit der Teilnehmenden ohne derartige Probleme wurde ebenfalls gecoacht. Diese Teilnehmenden benötigten häufig jedoch keine Unterstützung der Coaches, um die Maßnahme erfolgreich abzuschließen. Trotzdem ist laut dem IAB nicht auszuschließen, dass auch sie in ihrer Entwicklung durch das Coaching profitiert haben.
Eine ausführliche Beschreibung des „Modellprojekts zur Förderung geringqualifizierter Jugendlicher und Erwachsener“ und der Ergebnisse der Evaluation enthält der Abschlussbericht der Implementationsstudie des Modellprojekts
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