Blogbeitrag von Gunvald Herdin
Um informelles Lernen anzuerkennen, müssen non-formal und informell erworbene Kompetenzen identifiziert, dokumentiert, bewertet und zertifiziert werden. Wie stehen Experten der beruflichen Bildung zu möglichen Verfahren und Instrumenten der Anerkennung? Sind die in Deutschland bereits existierenden Verfahren dazu geeignet, informelles Lernen sichtbar und nutzbar zu machen? Benötigten wir zusätzliche Methoden, um Kompetenzfeststellungsverfahren noch effektiver zu machen, und wenn ja, welche? Die Ergebnisse des BIBB-Expertenmonitors, den wir gemeinsam mit dem Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB) durchgeführt haben, geben wichtige Hinweise für Verfahren und Instrumente der Anerkennung.
Bestehende Verfahren sind für ein Anerkennungssystem ungeeignet
Existierende Verfahren, die informell und non-formal erworbene Kompetenzen sichtbar machen sollen, wie z.B. die Externenprüfung und der ProfilPASS, sind für die Mehrheit der befragten Experten der beruflichen Bildung nicht zufriedenstellend. Lediglich rund 20 Prozent der befragten Experten sehen die Externenprüfung als geeignetes Verfahren für die Anerkennung informell und non-formal erworbener Kompetenzen. Diese ermöglicht es, Berufserfahrenen unter gewissen Voraussetzungen an der regulären Abschlussprüfung teilzunehmen. Kandidaten, die die Prüfung bestehen, erhalten den Gesellenbrief. Die Externenprüfung ist insofern keine wirkliche Anerkennung, als dass durch sie lediglich ein Prüfungszugang gewährt wird und dies unter schwer erfüllbaren Voraussetzungen. Es wundert daher nicht, dass die Externenprüfung pro Jahr von weniger als 20.000 Personen unter Berücksichtigung von Berufserfahrung erfolgreich abgelegt wird (destatis, 2014). Um die Zahl von ca. 6 Mio. formal Geringqualifizierten zu reduzieren, ist dieses Verfahren nicht geeignet.
Der ProfilPASS ist das in Deutschland bekannteste qualitative Portfolioverfahren. So sollen Personen ihre in verschiedenen Lebensbereichen erworbenen Kenntnisse und Fähigkeiten dokumentieren und reflektieren können. Lediglich jeder Fünfte ist der Meinung, dass der ProfilPASS für Phasen der Anerkennung geeignet ist. Dies betrifft insbesondere Identifikation und Dokumentation. Eine Bewertung oder gar Zertifizierung ist im ProfilPASS ohnehin nicht vorgesehen.
Es besteht also Handlungsbedarf im Hinblick auf die Entwicklung und Etablierung neuer Verfahren.
Experten fordern standardisierte Kenntnis- und Fähigkeitstests oder Arbeitsproben
Kern eines Anerkennungsverfahrens bilden die Phasen der Sichtbarmachung (Identifikation & Dokumentation) und Bewertung/Zertifizierung vorhandener Kompetenzen. Durch Identifikation und Dokumentation werden potenzielle Kompetenzen aufgedeckt und erfasst. In einem anschließenden Schritt geht es darum, diese Kompetenzen im Hinblick auf einen Referenzrahmen einer Bewertung zu unterziehen und dann auch formal zu zertifizieren.
Nur rund ein Viertel der Experten hält die subjektive Selbsteinschätzung der Teilnehmenden einer Kompetenzanerkennung für nützlich. Methoden, die der Art des Kompetenzerwerbs Rechnung tragen (z.B. Interviews, Arbeitsproben, Tätigkeitsbeobachtungen), werden von fast 90 Prozent der Experten präferiert. Drei Viertel der Experten meinen, dass diese Verfahren zudem standardisiert sein und einem einheitlichen System folgen sollten: ein wichtiges Merkmal, um die Verfahren flächendeckend und deutschlandweit einsetzen zu können.
Die Experten befürworten die Verwendung von Kenntnis- und Fähigkeitstests und Arbeitsproben. Als ungeeignet schätzen die Experten Arbeitgeberreferenzen und Fragebögen zur Selbsteinschätzung ein (vgl. Grafik).
Obwohl die Chancen für ein Anerkennungssystem überwiegen, sind bestehende Verfahren nach Meinung der Experten ungeeignet, um informelles Lernen sichtbar und verwertbar zu machen. Daher plädieren sie mehrheitlich für die Entwicklung neuer Verfahren, wie zum Beispiel Kenntnis- und Fähigkeitstests.
Der Blick ins Ausland zeigt, dass die Länder Frankreich, Norwegen und Finnland besonders gut aufgestellt sind, wenn es um Verfahren und Instrumente der Anerkennung geht.
Quellen:
destatis (2014). Bildung und Kultur – Berufliche Bildung (11/3). Statistisches Bundesamt, Wiesbaden. https://www.destatis.de/DE/Publikationen/Thematisch/BildungForschungKultur/BeruflicheBildung/BeruflicheBildung2110300147004.pdf?__blob=publicationFile
Velten, S. & Herdin, G. (2016). Anerkennung informellen und non-formalen Lernens in Deutschland – Ergebnisse aus dem BIBB-Expertenmonitor Berufliche Bildung, BIBB, 2015.
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