Schritt für Schritt nähern sich die Lebensverhältnisse in den ostdeutschen Bundesländern dem Westen an. Zwar ist die Arbeitslosenquote im Osten noch höher und die Wirtschaftskraft geringer, aber das Wachstum ist überdurchschnittlich. Damit die Aufholjagd fortgesetzt werden kann, braucht es Jobs. „It’s the economy, stupid“, sagte Bill Clinton einst, und er meinte damit: Unser ganzes System gründet darauf, dass möglichst viele Menschen sozialversicherungspflichtig beschäftigt sind.

Der Motor könnte jedoch bald ins Stottern geraten. Der Ländermonitor berufliche Bildung zeigt, welch enorm hohes Risiko für den Arbeitsmarkt in den ostdeutschen Bundesländern der demografische Wandel bedeutet: 47 Prozent weniger Jugendliche haben sich dort 2013 um eine Ausbildungsstelle beworben als noch sechs Jahre zuvor. 2007 wollten noch mehr als 120.000 Schulabgänger eine Lehrstelle antreten. Lediglich 63.800 waren es 2013. Zum Vergleich: In den westdeutschen Flächenländern sank die Zahl der Bewerber um einen Ausbildungsplatz im selben Zeitraum nur um 13 Prozent.

Nur halb so viele Azubis wie 2007

Das bedeutet: In diesem Jahr haben im Osten nur rund halb so viele junge Menschen in den Betrieben ihren Berufsabschluss gemacht wie sechs Jahre zuvor. Nur halb so viele Fachkräfte kommen aus dem dualen System neu auf den Arbeitsmarkt. Deutlicher kann kaum werden, was sich hinter dem abstrakten Begriff Demografie an Alltagswirklichkeit verbirgt. Insbesondere Thüringen und Sachsen, wo anteilig so viele Menschen in Produktionsberufen arbeiten wie nirgendwo sonst, sollte das in Alarmstimmung versetzen.

Weniger Fachkräfte, mehr Teilhabe

Natürlich gibt es für den Einzelnen durchaus Vorteile: Die Chance auf einen Ausbildungsplatz steigt. In Mecklenburg-Vorpommern und Thüringen übertrifft das Angebot an Lehrstellen bereits die Nachfrage. Es erhöht sich die Chance, vom Betrieb übernommen zu werden. Zwischen 2007 und 2013 ist die Übernahmequote überall in Ostdeutschland nach oben geklettert.

Zudem werden immer weniger ostdeutsche Jugendliche im nur begrenzt hilfreichen Übergangssystem geparkt, wo man keinen Berufsabschluss erwerben kann. Rund 16,5 Prozent der Jugendlichen nehmen nach der Schule nicht direkt eine Ausbildung auf, sondern belegen in diesem System eine vorbereitende Maßnahme – der Bundesschnitt liegt bei über 25 Prozent. Auch haben Hauptschüler und Jugendliche ohne deutschen Pass wesentlich höhere Aussicht auf eine Lehrstelle als bundesweit.

Zu viele scheitern

Es gibt demnach durchaus positive Nebeneffekte. Doch wenn die ostdeutschen Bundesländer nicht alles auf die Karte Einwanderung setzen wollen – ohnehin bereits Gegenstand immer schärferer parteipolitischer Auseinandersetzungen – müssen sie neue Strategien entwickeln, um mehr Jugendliche zum Berufsabschluss zu führen. Zumal im Osten noch relativ wenige junge Menschen ein Studium beginnen. Sollte sich das ändern, gerät das duale System dort noch stärker unter Druck.

Unser Ländermonitor zeigt, wo die Länder in ihrer Berufsbildungspolitik ansetzen können. Es gilt, einen größeren Anteil der Jugendlichen, die eine Ausbildung beginnen, auch zum Abschluss zu bringen. So zählt etwa in Thüringen, Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern die Absolventenquote zu den niedrigsten in ganz Deutschland. In Mecklenburg-Vorpommern beenden gerade einmal 61 Prozent der männlichen Azubis ihre Ausbildung bezogen auf die Zahl der Anfänger in der Ausbildung drei Jahre zuvor. Bis auf Brandenburg (83,4 Prozent) machen in keinem ostdeutschen Bundesland mehr als drei Viertel der Azubis einen Abschluss. Im Handwerk wird mittlerweile beinahe jeder zweite Ausbildungsvertrag vorzeitig gelöst.

Ausbildung effektiver machen

Thüringen reagiert darauf, indem es das Berufsschulsystem leistungsfähiger macht. 6.200 Euro gibt das Land pro Berufsschüler aus – vorbildlich. Bundesweit sind es nur 4.300 Euro. Mecklenburg-Vorpommer allerdings wendet gerade mal 3.600 Euro pro Berufsschüler auf. Dieses Beispiel illustriert, dass die ostdeutschen Bundesländer noch keine gemeinsame, effektive Strategie entwickelt haben, wie die berufliche Bildung ihr Nachwuchsproblem bei den Fachkräften besser bekämpfen kann. Die Landespolitik kann den demografischen Wandel nicht komplett auffangen, aber es gibt viel zu gewinnen, wie das Beispiel Hamburg zeigt.