Die Digitalisierung aller Bildungsbereiche erfährt durch die Corona-Krise eine ungeahnte Schubkraft. Auch in der beruflichen Bildung ist in den letzten Wochen vieles ausprobiert und umgesetzt worden, was so vor einem Jahr kaum vorstellbar schien.
Um die Digitalisierung allerdings sinnvoll zu nutzen ist es wichtig, Chancen und Risiken in den Blick zu nehmen. Die Initiative „Chance Ausbildung“ hat in einem Thesenpapier zusammengetragen, was es neben guter Didaktik braucht, um die Weichen für eine zukunftsfähige berufliche Bildung zu stellen. Anhand von drei Gestaltungsfeldern werden in „Digitalisierung in der beruflichen Bildung – drängender denn je!“ folgende Handlungsnotwendigkeiten aufgezeigt:
Ausbildungsorganisation
- Technologische Ausstattung sicherstellen
- (Gemeinsame) Qualifizierung des Lehr- und Ausbildungspersonals
- Kooperation innerhalb und zwischen Lernorten stärken
- Beschulung in der Fläche sicherstellen
Didaktik
- „Digital Literacy“ für alle Jugendlichen sicherstellen
- Erschließung neuen Wissens ermöglichen
- Stärkung der Kompetenzen, die schwer durch Maschinen ersetzt werden können
- Didaktischen Mehrwert prüfen
Ordnungsarbeit
- Berufsprofile anpassen
- Weiterbildung bereits in der Ausbildung anlegen und – auch institutionell – verbinden
Diese zehn Thesen und die entsprechenden Handlungsansätze wurden am 12. August 2020 im Rahmen der Web-Konferenz „Digitalisierung in der Ausbildung – was kommt und was bleibt nach Corona?“ vorgestellt und mit Expert:innen aus Wissenschaft und Praxis sowie den Konferenzteilnehmenden diskutiert.
Präsentation
Dr. Marcus Eckelt | Bertelsmann Stiftung
Diskussion
Dr. Dag Danzglock | Kultusministerium Niedersachsen
Prof. Dr. Eckart Severing | Universität Erlangen-Nürnberg
Britta Härke | Multi-Media Berufsbildende Schulen Hannover
Dr. Michael Tiemann | Bundesinstitut für Berufsbildung
Charlotte Wagner | Hans-Böckler-Berufskolleg Marl/Haltern
Moderation
Naemi Härle | Bertelsmann Stiftung
Die Folien der Präsentation
https://de.slideshare.net/BertelsmannStiftung/digitalisierung-in-der-ausbildung-was-kommt-und-was-bleibt-nach-corona
Dr. Dag Danzglock nahm in der Expert:innenrunde eine Doppelrolle ein: Zum einen als Repräsentant der Initiative „Chance Ausbildung“, zum anderen als Vertreter des Kultusministeriums Niedersachsen. Obwohl die Thesen im vergangen Winter 2019 und im Frühjahr diesen Jahres formuliert wurden, als noch niemand etwas von der Corona-Krise ahnte, hätte die Initiative bereits die wesentlichen Aspekte ausgemacht, wie sich jetzt zeige. Vor allem die technische Ausstattung erwies sich in der Krise als großes Hindernis. Zum Beispiel dann, wenn die Umstellung auf digitalen Unterricht bereits daran scheiterte, dass vor Ort kein ausreichender Netzanschluss bestand. Auch in Hinblick auf die Didaktik zeigte sich, dass ein Unterscheiden nach Alters- und beispielsweise auch Berufsgruppen wichtig ist. Allerdings erwies sich in der Krise auch Vieles als möglich, das vorher undenkbar schien. Das niedersächsische Kultusministerium ist deshalb bemüht darum , diese Ansätze auch über Corona hinweg weiter zu tragen. Ein Baustein, um berufsbildende Schulen zu unterstützen, ist eine gerade veröffentlichte Handreichung zur Umsetzung von Distanzunterricht.
Dr. Michael Tiemann vom Bundesinstitut für Berufsbildung unterstrich die Bedeutung der formulierten Thesen, benannte jedoch auch einen in seinen Augen wesentlichen Aspekt, der noch fehle: Es sei wichtig im Blick zu behalten, dass Digitalisierung nicht einfach „passiert“, sondern gestaltet werden muss. Es gelte, Technik so zu entwickeln, dass diese dem Menschen nutzt. Zudem spielen in seinen Augen die Thesen „Digital Literacy für alle Jugendlichen sicherstellen“ und „Erschließung neuen Wissens ermöglichen“ zusammen, denn das eine gehe nicht ohne das andere. Digitalisierung schaffe kein neues Wissen an sich, sondern zunächst nur den Anstieg von Informationen. Mit diesen Informationen müsse umgegangen werden, genau dafür benötige man aber die Kompetenzen, die in diesen beiden Thesen angesprochen werden. Damit die Digitalisierung in der beruflichen Bildung funktionieren kann, müssen zudem umfassende und einheitliche Regelungen rund um den Datenschutz getroffen werden. Gerade die im Thesenpapier benannte Stärkung der Kooperation innerhalb und zwischen Lernorten könne nur dann gelingen, wenn Schnittstellen geklärt wären.
Charlotte Wagner vom Hans-Böckler-Berufskolleg in Marl/Haltern, hob die Bedeutung didaktischer Konzepte für den sinnvollen Einsatz, die reflektierte Anwendung und die aktive Gestaltung – auch durch Schüler:innen – digital gestützter Unterrichtssequenzen hervor. In diesem Kontext gilt es insbesondere auch, die jeweilige Haltung gegenüber digitalen Medien zu diskutieren und zu reflektieren. An ihrer Schule ist sie verantwortlich für Personal- und Unterrichtsentwicklung – gerade erst sind sechs Schulungen für die Lehrkräfte gestartet. Der Fortbildungsbedarf sei hoch, umso mehr freue sie sich, dass der Andrang auf diese freiwilligen Fortbildungen groß sei. Gerade der Austausch und die gegenseitige Unterstützung im Kollegium sei unter den derzeitigen Rahmenbedingungen durch die Corona-Krise sehr wichtig und hilfreich. Ihre Schule ist zudem Teil des Schulversuchs „Talentschulen in NRW“ in dem es darum geht, junge Menschen in der Berufsvorbereitung individuell zu fördern. Gerade durch die Digitalisierung, mahnte sie, bestünde die Gefahr, dass die Bildungsschere weiter und vor allem schneller aufginge. So mussten sie an ihrer Schule die Erfahrung machen, dass Schüler:innen zuhause in Teilen keinen Zugang zum Internet hatten. Diese standen dann vor der Schwierigkeit, ihr persönliches Datenvolumen für den Unterricht nutzen zu müssen. Deshalb sei es wichtig, gerade diese jungen Menschen jetzt in den Blick zu nehmen und bestmöglich zu unterstützen.
Prof. Dr. Eckart Severing von der Universität Erlangen-Nürnberg und wissenschaftlicher Begleiter der Initiative „Chance Ausbildung“ führte die These zur Bedeutung der Weiterbildung weiter aus. Gerade im Hinblick auf Digitalisierung sei es wichtig Weiterbildung bereits in der Ausbildung anzulegen, um berufliches Wissen aufgrund neuer technischer Entwicklungen ad hoc und spezifisch ergänzen zu können. Dafür sollten Berufsschulen mehr Verantwortung übernehmen können.
Britta Härke von den Multi-Media Berufsbildenden Schulen berichtete ebenfalls von den Erfahrungen der letzten Monate und einer Besonderheit in diesem Zusammenhang: Die Schule hat gleich zu Beginn der Corona-Maßnahmen einen Antrag beim Kultusministerium gestellt, zu 100% auf digitalen Unterricht umzustellen. Als Multimedia Schulen waren die Schüler*innen und auch Lehrkräfte gut aufgestellt, dennoch war die Umstellung eine Herausforderung für alle Beteiligten. Um diese im Blick zu behalten und aus den Erfahrungen zu lernen, wurden alle Schüler:innen und auch Lehrkräfte zur Umsetzung des digitalen Unterrichts befragt – mit sehr viel positiver Resonanz. Dennoch freuten die Kolleg:innen und auch Schüler:innen sich darauf, wieder zurück auf das Schulgelände zu kommen, weil der digitale Unterricht kein vollumfänglicher Ersatz der echten Begegnung sei. Ein Zukunftswunsch sei es, in einem Modell der Mischung von Distanz- und Präsenzunterricht zu arbeiten. Dass es jedoch die Möglichkeit gab in dieser Ausnahmesituation auf alleinigen digitalen Unterricht umzustellen, wurde auch von dem dualen Partner positiv aufgenommen: Dass die Schüler:innen sich nicht mehr auf dem Schulgelände begegneten und dadurch die Gefahr einer Corona-Infizierung erheblich sank, erwies sich auch als hilfreich für die Ausbildungsbetriebe. Wichtig war es ihr zu betonen, dass digitaler Unterricht auch mit einer recht schlichten technischen Ausstattung möglich ist, bedeutend für das Gelingen seien vor allem die didaktischen Konzepte.
Bei Interesse zukünftig eine Einladung zu unseren Web-Veranstaltungen zu erhalten, bitte hier anmelden: www.b-sti.org/ausbildung
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Die Initiative „Chance Ausbildung“ setzt sich seit 2013 dafür ein, dass jedem jungen Menschen in Deutschland die Chance auf einen Berufsabschluss ermöglicht wird. In der 2. Phase (2017-2021) arbeiten hierbei Ministerien aus mehreren Bundesländern gemeinsam mit der Bundesagentur für Arbeit und der Bertelsmann Stiftung an neuen Perspektiven für die berufliche Bildung.
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