Mein Name ist Nadine Schnückel, ich bin 20 Jahre alt und Auszubildende im ersten Ausbildungsjahr bei Bertelsmann. Bevor ich in das Programm „Lernen fürs Leben“ der Stiftung gekommen bin, habe ich mir wenig Gedanken über die berufliche Ausbildung in anderen Ländern gemacht. Für uns gehört die Ausbildung zum Standard und erst hier wurde mir bewusst, dass es eine vergleichbare Ausbildung wie in Deutschland in kaum einem anderen Land gibt.

Letzten Sommer lernte ich während einer Sprachreise Viktoria aus Österreich kennen. Viktoria ist 19 Jahre alt und lebt in Wien. Derzeit besucht sie die Bakip (Bildungsanstalt für Kindergartenpädagogik) und absolviert dort eine fünf-jährige Ausbildung zur Kindergartenpädagogin. Die Bakip ist eine Berufsbildende Höhere Schule (BHS) in Österreich. Auf den ersten Blick ist die Berufsausbildung in Österreich und Deutschland sehr ähnlich, jedoch gibt es auch hier Unterschiede.
„Doch welche Unterschiede gibt es denn nun konkret?“ habe ich mich gefragt. Mithilfe von Interviews mit Viktoria und weiterer Recherchen, konnte ich die wichtigsten Unterschiede und Gemeinsamkeiten herausfinden, die ich euch hier darstellen möchte:

Viktoria: „Die Bakip schließe ich gleichzeitig mit einem Diplom und Matura ab.“

Schon hier wird der erste Unterschied deutlich: In Österreich ist es möglich, während der Ausbildung das Abitur oder wie es in Österreich genannt wird die Matura zu machen. Davon hatte ich persönlich vorher noch nichts gehört. In Deutschland gibt es zwar auch die Möglichkeit, das Abitur während der Ausbildung zu absolvieren, aber dies ist eher selten der Fall und bei mir in der Umgebung wird dies auch nicht angeboten. Häufiger ist es, dass ein Fachabitur während der Ausbildung absolviert wird, wobei man mit diesem nur in wenigen Bundesländern an einer Universität studieren kann. Viktoria kann nach ihrer 5-jährigen Ausbildung mit Matura direkt in das Arbeitsleben einsteigen oder sich für ein Studium entscheiden.

Viktoria: „Schon mit 13 oder 14 musste ich wissen, was ich nach der Schule machen möchte!“

In Österreich starten alle Schüler mit der Volksschule, welche sie mit ungefähr 10 Jahren beenden. Danach gehen ungefähr 70% auf die Hauptschule und rund 30% auf eine allgemeinbildende höhere Schule. Viktoria musste schon mit 14 wissen, was sie nach ihrer Schulzeit machen möchte. Dies liegt daran, dass die Schule im Allgemeinen in Österreich nur bis zur 9ten Klasse geht und die Jugendlichen diese schon mit 15 verlassen. Wer weiß denn bitte schon mit 13, was man später einmal genau machen möchte? Mit 13 ist man doch noch fast ein Kind und denkt meistens noch nicht soweit. Aber in Deutschland ist es häufig nicht anders. Vieler meiner Freunde machen nach den 10 Jahren Schulzeit oder dem Abitur ein Freiwilliges Soziales Jahr (FSJ) oder den Bundesfreiwilligendienst, weil sie einfach noch nicht wissen, was sie machen wollen oder den gewünschten Studienplatz nicht bekommen haben. Selbst mit 17 fand ich es noch schwierig zu entscheiden, dass mich mein Weg in die kaufmännische Ausbildung zu Bertelsmann führen soll. Meiner Meinung nach steigt der Entscheidungsdruck immer weiter. Momentan gibt es in Deutschland um die 330 Ausbildungsberufe und auch in Österreich stehen immerhin ungefähr 200 Ausbildungsberufe zur Wahl. Wie soll man sich da noch für „den einzig Richtigen“ entscheiden?

Viktoria: „Häufig ist es schwierig sich auf Berufsschule und das Abitur gleichzeitig zu konzentrieren. – Und dann darf man die Arbeit auch nicht vernachlässigen.“

Viktoria hat sich für die Ausbildung zur Kindergartenpädagogin entschieden, da sie in die Richtung Sozialpädagogik gehen wollte und gerne mit Kindern zusammenarbeitet. Viktoria hat eine 35-Stunden Woche. Da sie eine BHS besucht und keine Ausbildung in einem Betrieb macht, muss sie an mehreren Tagen in der Woche zur Schule gehen und arbeitet nur freitags und an mehreren Blockwochen im Jahr. Häufig fühlt sie sich gestresst, da sie viele Dinge gleichzeitig bewältigen und sich auf Berufsschule, Matura und die Arbeit im Kindergarten konzentrieren muss. Dies empfindet sie zeitweise als eine Belastungsprobe. Auch während der Ausbildung in Deutschland werden Jugendliche sehr beansprucht. Zunächst ist es eine große Umstellung, wenn man aus der Schule kommt und plötzlich nicht mehr so viel Freizeit hat. Nun muss man sich genau überlegen, was man in dem bisschen Freizeit noch macht und wie man seine Zeit gut einteilt, damit auch die Berufsschule unter dem Zeitmangel nicht leidet.

In Österreich besteht die Allgemeine Ausbildung aus 80% Betrieb und 20% Berufsschule. In Deutschland ist der schulische Teil etwas höher. Dies hat den Vorteil, dass die Schüler mehr Zeit haben, um den theoretischen Teil zu lernen. So habe ich in der Schule mehr Zeit, um Stoff zu wiederholen – so fühle ich mich meist gut vorbereitet auf Klausuren. Bei Viktoria ist es ähnlich, da sie eine schulische Ausbildung macht und längere Zeit am Stück in der Schule verbringt.

Viktoria: „Die meisten meiner Freunde entscheiden sich für eine Berufsbildende Höhere Schule oder eine Lehre.“

In Österreich beginnen die meisten Jugendlichen nach ihrer 9-jährigen Schulzeit eine Ausbildung im Betrieb (39,6%) oder an einer berufsbildenden Schule (42,3%). Aus Viktorias Umfeld macht nur ein Bruchteil ein allgemeines Abitur und das ist auch völlig in Ordnung so. In Deutschland machen heutzutage dagegen rund 51% das Abitur. Auch unter meinen Freunden hat die Mehrheit ein Studium begonnen oder wird in diesem Jahr damit beginnen.
Aber wie kommt es zu dieser Differenz zwischen Deutschland und Österreich? Ich denke die Antwort ist simpel: Die Ausbildung in Deutschland ist nicht so hoch angesehen wie in Österreich oder in anderen Ländern. Ein Studium bringt in Deutschland mehr Prestige mit sich. Viele Menschen glauben, dass Abitur und Studium die Voraussetzung für ein erfolgreiches Leben sind. Dies wird auch den Jugendlichen schon früh vermittelt.

Mein Fazit zu der Ausbildung in Deutschland und Österreich

Es gibt zwar Unterschiede, – jedoch sind die Probleme, welche die Jugendlichen haben, häufig sehr ähnlich. Die Entscheidung, was man genau nach seiner Schulzeit machen möchte, ist immer schwierig. Egal in welchem Land man lebt und egal wie alt man ist. Die Möglichkeiten sind quasi unbegrenzt und dadurch steigt der Entscheidungsdruck bei den Jugendlichen. Viktoria und ich haben uns beide bereits für einen Weg entschieden und sind hiermit bislang auch sehr zufrieden. – Es kommt letztlich nicht auf den Titel des Abschlusses an. Es ist auch nicht so relevant, ob man ein Studium oder eine Ausbildung macht. Wichtiger ist, dass es zu meinen Neigungen passt, Spaß macht und ich später mit meinem Abschluss interessante Berufschancen habe.