Nach Abschluss des vom Bundesarbeitsministerium (BMAS) initiierten Dialogprozesses „Arbeiten 4.0“ deutet sich ein Ringen um die Gestaltungsmacht bei der Weiterbildung an. Die individuellen und betrieblichen Interessen scheinen sich mitunter entgegen zu stehen, wenn es um Weiterbildungen geht. Das muss aber nicht unbedingt sein. Ein zukunfts- und leistungsgerechtes Weiterbildungssystem sollte beide Standpunkte vereinen und vor allem: Den bisherigen Weiterbildungsverlierern Perspektiven aufzeigen und ermöglichen.
Der Dialogprozess „Arbeiten 4.0“ befasste sich seit Anfang 2015 mit der Veränderung der Wirtschaft in Zeiten der Digitalisierung und den entsprechenden Implikationen für die Arbeitsmarktpolitik. Natürlich spielt dabei auch die Weiterbildung eine zentrale Rolle. Für die sich digitalisierenden Arbeitsprozesse braucht es Personal, das die notwendigen Kompetenzen hat. Sind sie noch nicht vorhanden, müssen sie durch Weiterbildungen erworben werden. Was die Fachkräftebedarfe der Zukunft und die daher relevanten Kompetenzen sind, möchte das BMAS durch ein neues Monitoring stetig erörtern. Daraus würden sich dann die relevanten Qualifizierungsbedarfe ableiten.
Mehr Qualifizierungsberatung – aber derzeit nicht für alle eine Perspektive
Doch wie kann das Weiterbildungssystem besser auf diese Qualifizierungsbedarfe reagieren? Das Arbeitsministerium möchte hierzu mit der Bundesagentur für Arbeit (BA) stärker in die Qualifizierungsberatung von Arbeitnehmern einsteigen (Weissbuch S. 110 f.). Die durch das angestrebte Monitoring erlangten Erkenntnisse könnten helfen, die Qualifizierungsberatung zukunftsorientierter als bisher zu gestalten. Die Beratung der BA hat derzeit allerdings ein noch größeres Defizit: Sie ist schlicht nicht für alle Arbeitgeber relevant, weil die Finanzierung einer sinnvollen Qualifizierungen nicht für alle Interessenten gesichert ist. Gerade für weiterbildungsbenachteiligte Arbeitnehmer, die derzeit keine Unterstützung vom Staat oder dem Arbeitgeber erhalten, zeigt eine solche Beratung momentan keine realistischen Perspektiven auf. Damit die Pläne des Ministeriums hinsichtlich der Beratung auch für alle Arbeitnehmer relevant sind, wird perspektivisch ein bundesweites Recht auf Weiterbildung angestrebt (Weissbuch S. 114).
Wirtschaft befürchtet Überregulierung durch Recht auf Weiterbildung
Das vom Ministerium in Aussicht gestellte Recht auf Weiterbildung wird allerdings bereits kritisiert. Achim Dercks vom DIHK findet, dass „neue staatliche Vorgaben […] individuelle Lösungen erschweren [würden]“. Die Unternehmen in Deutschland wüssten, dass gut aus- und weitergebildete Mitarbeiter ein echter Wettbewerbsvorteil sind. Das mag für bestimmte Mitarbeiter gelten, allerdings profitieren längst nicht alle von den betrieblichen Weiterbildungen. Denn gerade eben jene gut aus- und weitergebildeten Mitarbeiter nehmen mehr als doppelt so häufig an diesen teil, als Personen ohne Berufsabschluss¹. Nun sind natürlich manche Jobs weiterbildungsintensiver als andere. Erwartungsgemäß sind daher geringer gebildete Arbeitnehmer häufiger der Auffassung, keinen Weiterbildungsbedarf zu haben². Wenn Sie sich allerdings weiterbilden möchten mangelt es ihnen häufiger an Beratung, aber auch an Unterstützung vom Arbeitgeber³. Um die Potenziale der Mitarbeiter vollständig zu nutzen, sollten auch die geringer qualifizierten Arbeitnehmer einen einfachen Zugang haben, wenn sie sich weiterentwickeln möchten.
Unternehmen können von individuellen Handlungsspielräumen profitieren
Das Bundesarbeitsministerium möchte die Qualifizierungsberatung ausbauen und ein Recht auf Weiterbildung schaffen und die Wirtschaft befürchtet Überregulierung und steigende Kosten. Vieles spricht dafür, dass in den Unternehmen derzeit diejenigen benachteiligt sind, die am stärksten von Weiterbildungen profitieren könnten. Gerechte leistungsbezogene Aufstiegschancen sehen anders aus. Daher braucht es arbeitsmarktpolitische Instrumente, die diese Chancen angleichen. Das Wichtigste bei diesem Ringen um die Weiterbildung ist daher, die Zielgruppen nicht aus dem Auge zu verlieren. Dass am Ende des Tages dem Individuum hoffentlich mehr Handlungsspielraum bei der Entwicklung seiner beruflichen Karriere gegeben wird, kann auch den Unternehmen nutzen. Denn wenn sich motivierte Arbeitnehmer „auf eigene Faust“ in Weiterbildungen begeben, dann sollte das ein positives Signal für die Unternehmen sein. Alle Potenziale und Aufstiegsmotivationen aller Mitarbeiter zu kennen ist nämlich wohl selbst für die weisesten Unternehmen nahezu unmöglich.
Unbürokratisches und bedarfsorientiertes Recht auf Weiterbildung
Wie also sollte ein gutes Recht auf Weiterbildung gestaltet werden? Zum einen sollte es die – für viele Beschäftigte funktionierende – betriebliche Weiterbildung nicht über Gebühr bürokratisieren. Optimalerweise fallen die Kosten für bürokratische Vorgänge gering aus und die Wahlfreiheit der Unternehmen hinsichtlich der Weiterbildungen für die ohnehin weiterbildungsaktiven Mitarbeiter bleibt erhalten. Zum anderen sollten durch das Recht auf Weiterbildung jene Beschäftigte stärker gefördert werden, die sich weiterbilden möchten aber keine Unterstützung vom Arbeitgeber erhalten. Neben dem erläuterten positiven Signal für die Unternehmen, das von solchen aktiv gesuchten Weiterbildungen ausgehen kann, sollten in diesen Fällen die steigenden individuellen Entwicklungschancen und die damit einhergehenden Humankapitalzuwächse in der Volkswirtschaft die primären Zielgrößen sein, die das Recht auf Weiterbildung legitimieren.
¹ Adult Education Survey 2014: Teilnahmequoten betriebliche Weiterbildung: Meister/Fachschule: 58 % & (Fach-) Hochschule: 48 % vs. kein Berufsabschluss: 22 %
² Adult Education Survey 2012: kein Bedarf: niedriger Schulabschluss 57 %, hoher Schulabschluss 32 %
³ Adult Education Survey 2012: Wunsch nach Beratung: niedriger Schulabschluss 18 %, hoher Schulabschluss 6 %; keine Unterstützung vom AG: niedriger Schulabschluss 12 %; hoher Schulabschluss 7 %.
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