Dieser Beitrag ist der 3. Post im Rahmen des #dukannstwas Blogstöckchens, das wir vor einigen Tagen geworfen hatten und das nun von einigen Autoren aufgriffen worden ist. Heute schreibt Jochen Robes über Kompetenzanerkennungskompetenz als Bottom-Up-Ansatz. Das Blogstöckchen kann jederweit weitergeworfen oder aufgefangen werden.

Auf der politischen Agenda hat die Validierung des informellen Lernens bzw. die Frage der Anerkennung informell erworbener Kompetenzen ihren festen Platz. Doch die Antworten sind nicht leicht zu finden: Denn es geht um Regeln und Standards, die über einzelne Lebensbereiche und Lebensräume hinweg gelten, um Interessen und Bedarfe, die durchaus unterschiedlich gesehen und eingeschätzt werden, sowie um Zuständigkeiten und Kosten.

Parallel zu dieser Diskussion, an der seit vielen Jahren nationale Institutionen und europäische Kommissionen beteiligt sind, greift aber auch hier die Dynamik der Netze und das Internet als Lernort und Bildungsraum. Wissensarbeiter entkoppeln sich von der offiziellen, bildungspolitischen Suche nach Verfahren und Lösungen. Viele nutzen aktiv und fachbezogen die sozialen Netzwerke und Communities, teilen, bloggen, twittern und bauen über Jahre hinweg ein Online-Profil auf, das ihre individuellen Wege der Kompetenzentwicklung transparent macht. Und innovative Dienste und Start-Ups bieten bereits eine Reihe von Instrumenten, die den Nutzer hier unterstützen, von ePortfolios, über Scores bis Badges.

Wohlgemerkt, wir sprechen hier von Nutzern, die in der Regel keine politischen Hilfestellungen benötigen, die eher ein gesundes Misstrauen gegenüber solchen Lösungen besitzen, weil sie oft spät kommen und (aus ihrer Sicht) praxisfern entwickelt worden sind. Die Kompetenzen dieser Nutzer sind zudem gefragt und werden häufig auf einem flexiblen, digital geprägten, grenzüberschreitenden Arbeitsmarkt gehandelt. Gleichwohl spielen hier informell erworbene Kompetenzen eine zentrale Rolle, denn die formalen Bildungsangebote und Qualifikationswege schaffen es kaum, den Bedürfnissen und Anforderungen dieser Zielgruppen hinterherzukommen.

Doch vielleicht werfen wir einen kurzen Blick auf einige der Routinen und Instrumente, die heute bereits existieren und die 2020 in dieser oder einer anderen Form noch breiter gelebt werden:

Peter ist Ende Zwanzig und hat, nach einigen freiwilligen Pausen, gerade sein Informatik-Studium beendet. Er hat die Zeit auf dem Campus, den Austausch mit Lehrenden und Kommilitonen geschätzt, aber natürlich hat sich sein Studium auch im Netz abgespielt. Ohne dass er sich darüber groß Gedanken gemacht hätte. Denn von E-Learning spricht schon lange niemand mehr. Selbstverständlich waren Lernmaterialien über eine Plattform der Hochschule zugänglich; es gab Vorlesungsmitschnitte, der Austausch mit Lehrenden und anderen Lernenden fand im Netz statt, Video-Konferenzen waren Teil jeder Projektarbeit, offene Lernmaterialien im Netz konnten genutzt werden. Es war auch selbstverständlich, dass er online einzelne Kurse oder Module anderer Hochschulen besuchte, die das Curriculum seines Fachs ergänzten und die er ohne Probleme anrechnen lassen konnte.

Viel wichtiger war im Rückblick, dass Peter von Beginn an das Netz genutzt hat, um seine eigenen Lernaktivitäten zu organisieren und zu dokumentieren. Die Hochschule, aber vor allem die Lehrenden, mit denen er zu tun hatte, haben viel Wert auf die systematische Entwicklung digitaler Kompetenzen gelegt (siehe „Key competences for lifelong learning“). Dabei wurden sie durch eine Initiative der Hochschulleitung unterstützt, die jedem Studierenden mit der Einschreibung einen eigenen Webspace anbot, den er selbst gestalten und mit hochschulinternen, aber auch externen Diensten vernetzen konnte.

2013 hat die University of Mary Washington (UMW) ein Projekt mit dem Namen “A Domain of One’s Own” gestartet. “A Domain of One’s Own” gibt Lehrenden, Lernenden und Angestellten der UMW einen individuellen Domainnamen und Webspace mit dem erklärten Ziel, sie bei der Entwicklung und Pflege einer eigenen Identität im Netz zu unterstützen. Bei der Gestaltung ihres Webspace haben die Nutzer alle Freiheiten. Nach Abschluss des Studiums bzw. Verlassen der UMW können die Nutzer entweder die Domain übernehmen und selbst fortführen oder alle Inhalte auf eine Plattform ihrer Wahl migrieren.
(http://umw.domains/about)

Als Peter nach seinem Studium in der IT eines großen Versicherungskonzerns seinen ersten Job bekam, hat er sich natürlich noch mit den Systemen, Produkten und Prozessen seines neuen Arbeitgebers vertraut machen müssen. Regelmäßig nutzt er die Angebote seines Unternehmens, um sich weiterzubilden, zu informieren und zu vernetzen. Aber er hat auch nie aufgehört, sich mit Hilfe des Netzes auszutauschen und sein Online-Profil systematisch zu pflegen. Er kennt natürlich auch den „Score“, also den „Wert“ seines Profils, und nutzt diesen auf seinen Profilseiten im Netz, um sich Arbeitgebern, Projektpartnern und anderen Interessierten zu präsentieren.

Online Reputation ist auch für Privatpersonen längst ein Thema. Einer der ersten Dienste, die systematisch die Aktivitäten von Nutzern in sozialen Netzwerken auswerteten und als Score darstellten, war Klout. Das 2009 gegründete und in San Francisco beheimatete Unternehmen misst ausschließlich die Zahl der Aktivitäten eines Nutzers und ihren Einfluss auf andere Nutzer. 2014 spricht Klout (https://klout.com) von über 620 Millionen „scored users“.

Um sich auf dem Laufenden zu halten, nutzt Peter vor allem die vielen Online-Module, die es zu den verschiedenen Themen und aktuellen Entwicklungen in seinem Fach, der Informatik, gibt. Dabei ist er weniger an klassischer Weiterbildung, formalen Qualifikationen und weiteren Abschlüssen interessiert. Denn diese spielen heute in der Branche nur noch beim Start in den Beruf eine Rolle. Er sucht nach Angeboten, mit denen er sich neben der Arbeit weiterbilden und mit seiner Fach-Community austauschen kann. Viele Bildungsanbieter haben sich inzwischen auf diesen Markt der Berufstätigen spezialisiert. Was vor einigen Jahren als MOOC-Welle und mit einer Handvoll großer Plattformen begann, hat sich in unzählige Themenbereiche und Fach-Communities ausdifferenziert. Das Angebot ist längst global geworden. Viele Bildungsanbieter konzentrieren sich auf ein spezielles Fach, decken einen bestimmten Sprachraum ab oder versuchen, durch die Verbindung ganz unterschiedlicher Fächer und Themen Nischen zu besetzen. Oft sind die Lernmaterialien frei, aber wer den direkten Kontakt zu Lehrenden, die persönliche Unterstützung durch Tutoren oder ein Zertifikat haben will, zahlt eine Gebühr. Es sind vor allem Nanodegrees, die Wissensarbeiter wie Peter hier erwerben können.

Im Juni 2014 hat Udacity, eine der großen MOOC-Plattformen, ihr Konzept der Nanodegrees vorgestellt. Nanodegrees, so schrieb Udacity’s Vice President Business Development & Partnerships, Clarissa Shen, sind “kompakte, flexible und praxisorientierte Abschlüsse”, die man im Laufe seiner Karriere beliebig ergänzen und erweitern kann. „Praxisorientiert“ heißt auch, dass die Module und Inhalte oft in direkter Zusammenarbeit mit Industrien und Unternehmen entwickelt worden sind. Dadurch hofft man, besser und zielgerichteter auf den schnellen und permanenten technologischen Wandel reagieren zu können. Nanodegrees werden komplett online erworben, unterstützt durch Coaches und Diskussionsforen (http://blog.udacity.com/2014/06/announcing-nanodegrees-new-type-of.html).

Wenn Peter ein Online-Modul bearbeitet, an einem Projekt auf einer Community-Plattform teilnimmt oder in einem Informatik-Netzwerk aktiv ist, erwirbt er häufig Badges. Badges sind längst zur universellen Währung geworden. In sozialen Netzwerken und auf Bildungsplattformen werden sie eingesetzt, um die Aktivitäten und Lernfortschritte ihrer Nutzer zu dokumentieren. Zugleich sollen die Nutzer motiviert werden, am Ball zu bleiben, denn im Gegensatz zu klassischen Zeugnissen und Zertifikaten winken Badges schon an der nächsten Ecke. Für Wissensarbeiter wie Peter sind sie vor allem ein Mittel, um ihre aktuellen Kenntnisse und Kompetenzen zu dokumentieren. Auch der Versicherungskonzern, für den Paul arbeitet, hat bereits vor Jahren ein internes soziales Netzwerk eingerichtet. Community Manager unterstützen und motivieren hier die Mitarbeiter auf vielfältige Weise, dieses Netzwerk in ihren Arbeitsalltag  zu integrieren und sich aktiv am internen Wissens- und Erfahrungsaustausch zu beteiligen. Badges sind auch hier längst ein selbstverständliches Instrument.

Badges sind digitale Abzeichen. In Online-Lernumgebungen werden sie auf zwei Arten eingesetzt: Als Digitale Badges sollen sie im Rahmen der jeweiligen Plattform Lerner in der Auseinandersetzung mit einem Lernstoff motivieren. Digitale Badges sind hier häufig Teil einer Gamification-Strategie (Beispiel: Khan Academy). Von Open Badges spricht man, wenn das Schwergewicht auf der Dokumentation und Präsentation des Lernfortschritts liegt. Open Badges sollen Dritten wie z. B. Arbeitgebern anzeigen, welche Skills und Kompetenzen Lerner erworben haben. Eine entsprechende Infrastruktur für die Entwicklung und Nutzung von Open Badges wird seit 2011 von Mozilla (Mozilla Open Badges) entwickelt (http://openbadges.org)

Peter hat in den letzten Jahren bereits eine Reihe von Badges erworben. Auf der internen Plattform seines Arbeitgebers zeigen sie interessierten Kollegen an, an welchen Projekten er  arbeitet und auf welchen Feldern er Expertise besitzt. Auf den professionellen Netzwerken wie LinkedIn hat Peter die wichtigsten Badges in seinen Lebenslauf integriert. Wenn jetzt ein Arbeitgeber wissen will, welche Skills Peter mit dem Badge erworben hat, klickt er einfach auf das Badge und enthält die Informationen, die der Herausgeber des Badges, z. B. ein Bildungsanbieter, zur Verfügung stellt. LinkedIn, das nur am Rande, ist 2020 zur größten Bildungsplattform geworden, weil es systematisch die Lebensläufe seiner Nutzer auswertet, Tipps zur Komplettierung ihrer Profile gibt und diese mit Angeboten ihrer Bildungspartner verlinkt.

Natürlich betrifft das hier beschriebene Szenario zuerst und vor allem Höherqualifizierte und Experten, aber auch ganze Branchen wie z. B. die IT und die Kreativwirtschaft. Aber es macht vielleicht deutlich, dass das Netz nicht nur neue Möglichkeiten bietet, sich online weiterzubilden, sondern damit einher immer auch Projekte und Dienste gehen, diese informell erworbenen Kompetenzen zu dokumentieren und anderen zu öffnen. Grund genug für alle, die sich mit dem Thema Kompetenzanerkennung beschäftigen, diese Entwicklungen nicht aus dem Auge zu verlieren. „Wenn wir es gut machen“, wie Julia Behrens schreibt, dann schaffen wir auch die Rahmenbedingungen, die solche dynamischen, selbstorganisierten Prozesse unterstützen.

 

Bisherige Beiträge zum Blogstöckchen #dukannstwas:

1. “Kompetenzanerkennungskompetenz”  #dukannstwas – Blogstöckchen Teil 1

2. Kompetenzen: „Die Betriebe müssten auch ‚lesen‘ können, was Validierungsergebnisse aussagen“ – Blogstöckchen Teil 2

3. Kompetenzanerkennungskompetenz Bottom-up – #dukannstwas Blogstöckchen Teil 3

4. Die im Dunkel sieht man nicht: Informell erworbene Kompetenzen sichtbar machen – Blogstöckchen Teil 4