Im Rahmen einer Tagung eines Wohlfahrtverbandes zu aktuellen Entwicklungen der Migrations- und Asylberatung habe ich die Kompetenzkarten der Bertelsmann Stiftung vorgestellt.
Das Instrument wurde gezielt für den Einsatz bei Flüchtlingen und Migranten/Migrantinnen entwickelt, für die herkömmliche Kompetenzfeststellungsverfahren wenig geeignet sind. Die anschließende Diskussion gab Aufschluss über Probleme und Herausforderungen beim Einsatz der Karten im Beratungsalltag.
Hintergrund der Kompetenzkarten
Die Kompetenzkarten wurden entwickelt, um Fachkräften aus dem Bereich der Migrationsberatung ein Instrument zur Potenzialerfassung von Asylsuchenden und Flüchtlingen an die Hand zu geben. In der Beratung erhalten Menschen, die zu uns nach Deutschland gekommen sind, Informationen und Unterstützung u.a. zu Integrationskursen, Ämterfragen und soziale Unterstützungsleistungen oder zur Wohnungssuche. Aber auch mit Fragen zu Schule, Ausbildung und Beschäftigungschancen sind Beratende konfrontiert. Damit sie diese Aufgabe erfüllen können, benötigen sie Instrumente zur Erfassung ihrer Potenziale.
Die bestehenden Verfahren, wie beispielsweise der ProfilPASS, waren aufgrund der hohen Sprachlastigkeit und hohen Komplexität für die Zielgruppe sowie der zeitintensiven Durchführung nur sehr begrenzt dafür geeignet. In Zusammenarbeit mit Beratungsstellen der Wohlfahrtsverbände wurde ein Instrument entwickelt, welches gezielt auf die Anforderungen der Zielgruppe und den Arbeitsalltag in der Migrationsberatung abgestimmt ist.
Die Kompetenzkarten sind aufgrund ihres Aufbaus einfach in der Durchführung, praxisnah, liefern verständliche Ergebnisse und sind inhaltlich fundiert. Die Inhalte sind sprachlich auf einem einfachen Niveau beschrieben und durch Visualisierungen unterstützt. Ein großer Vorteil ist die zeitliche Flexibilität in der Anwendung der Karten: Aufgrund verschiedener Einsatzoptionen – Nutzung als Gesprächseinstieg (5-15 min) bis hin zur kompletten Kompetenzfeststellung (45-120 min) – entscheiden Beratende selbst über den zeitlichen Aufwand.
Feedback aus der Arbeit mit Kompetenzkarten
Nachdem die Kompetenzkarten vorgestellt wurden, ließ die Tagung Raum für eine anschließende Diskussionsrunde. Das Instrument war den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern durchaus bekannt. Der tatsächliche Einsatz der Kompetenzkarten im Beratungsalltag stellte sich jedoch als gering heraus, was unter anderem darauf zurückgeführt wurde, dass die Kompetenzkarten zwischenzeitlich nicht verfügbar waren. Neben der Verfügbarkeit wurde die Frage in den Raum gestellt, ob die Migrations- und Asylberatung tatsächlich der richtige „Ort“ für Kompetenzfeststellungen bezogen auf berufliche Integration ist. Häufig stehen ganz andere Sorgen von Flüchtlingen und Asylsuchenden an erster Stelle, die vorrangig besprochen werden. Dazu gehören vor allem Beratungen zu Ämterangelegenheiten, Wohnungssuche und Integrationskurse (vgl. Grafik).
Die Aufgabe der beruflichen Kompetenzerfassung wird eher bei den Arbeitsagenturen und Jobcentern gesehen. In diesem Zusammenhang stellte sich auch die Frage, inwiefern in der Migrationsberatung durchgeführte Kompetenzeinschätzungen von den Arbeitsvermittelnden anerkannt und berücksichtig werden. Geht die Beratung der Wohlfahrtsverbände dennoch in Richtung beruflicher Einsatz, wird eher auf Praktika fokussiert.
Kritisch angemerkt wurde auch, dass sich die Zielgruppe bei Selbsteinschätzungen stark überschätzt. Viele Flüchtlinge und Asylsuchende können oder wollen sich keine Schwächen eingestehen und geben daher bei vielen Kompetenzen an, dass sie über diese verfügen. Eine ausgewogene Selbsteinschätzung mit priorisierten Fähigkeiten erfolgt selten. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter führen das auf kulturelle Gründe sowie den Integrationswillen und das Offenhalten aller Optionen der Zielgruppe zurück. Selbsteinschätzungs-Instrumente können daher aus Sicht einiger Beratenden nur begrenzt für die Erfassung von Kompetenzen für die berufliche Beratung eingesetzt werden. Empfohlen wurde von den Beratenden, dass insbesondere die Kompetenzkarten dafür geeignet sind, diese in den beruflichen Übergangsklassen, die für berufsschulpflichtige Jugendliche eingerichtet wurden, einzusetzen.
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