Seit fast zwei Jahrzehnten stagniert die Weiterbildungsteilnahme, während der Ruf nach qualifizierten Arbeitskräften immer lauter wird. Gleichzeitig sinkt die öffentliche Weiterbildungsfinanzierung auf einen Tiefstand, ganz im Gegensatz zur Entwicklung in allen anderen Bildungsbereichen. Diesen Rückzug der öffentlichen Hand kompensieren steigende Weiterbildungsausgaben von Teilnehmern und Betrieben.
In Folge dieser “Privatisierung” der Weiterbildungskosten werden zunehmend jene Zielgruppen von beruflicher Weiterbildung ausgeschlossen, die schlichtweg nicht über die nötigen Mittel verfügen. Hierunter finden sich vor allem formal Geringqualifizierte und atypisch Beschäftigte. Diese Gruppen sind vom Rückzug der staatlichen Förderung direkt wie indirekt betroffen: direkt, weil ihre Gefahr, arbeitslos zu werden, groß ist und die Budgets der BA für die Weiterbildung Arbeitsloser bzw. von Arbeitslosigkeit Gefährdeter deutlich geschrumpft sind. Und indirekt, weil der Rückgang der Weiterbildungsförderung der BA nicht durch anderweitige öffentliche Weiterbildungsförderungen ausgeglichen wurde.
Geringqualifizierte haben weniger Teilhabechancen
In Deutschland leben 7,3 Millionen Menschen im erwerbsfähigen Alter, die keine abgeschlossene Berufsausbildung aufweisen können. In der Statistik laufen sie unter dem Begriff „Geringqualifizierte“. Eine
Studie des IAB zeigte vor drei Jahren sehr anschaulich, dass diese Menschen ein fast vierfach so hohes Risiko hatten, erwerbslos zu werden (19,6 %), wie Menschen mit abgeschlossener Ausbildung (5,1 %). Auch in der gegenwärtigen stabilen wirtschaftlichen Situation ist der Unterschied noch dramatisch (10,1 % vs. 3,9 %), wie
aktuelle Zahlen von destatis zeigen. Aber nicht nur die Wahrscheinlichkeit von Beschäftigung ist für sie geringer, sondern auch deren Ertrag. So berechnet die Bundesagentur für Arbeit in ihrer
Entgeltstatistik ein etwa 19% höheres Bruttomonatseinkommen für sozialversicherungspflichtige Beschäftigte mit vs. ohne Berufsabschluss. Besorgniserregend finde ich, dass sich Geringqualifizierte auch mehr und mehr aus den politischen Entscheidungsprozessen zurückziehen. So lag laut der
GLES-Studie die Wahlbeteiligung der Gesamtbevölkerung bei der Bundestagswahl 2013 um 30% höher als die der Geringqualifizierten (84,7 % vs. 65,9 %). Für Geringqualifizierte ist Weiterbildung also besonders wichtig, um über den nachträglichen Erwerb eines Berufsabschlusses eine Chance auf beruflichen und gesellschaftlichen Einstieg und Aufstieg zu erhalten. Genau diese Gruppe bildet sich aber deutlich weniger weiter als die Höherqualifizierten. Unter den Normalbeschäftigten beträgt der Abstand in der Weiterbildungsbeteiligung zwischen Gering- und Höherqualifizierten bereits 21,1 Prozentpunkte. Geringqualifizierte in einem atypischen Arbeitsverhältnis – also in Befristung, Teilzeit, Zeitarbeit oder geringfügiger Beschäftigung – nehmen sogar nur noch halb so oft an Weiterbildungen teil wie Höherqualifizierte.
Das liegt unter anderem auch daran, dass gerade diese Gruppe nicht von den gestiegenen Ausgaben der Betriebe für Weiterbildung profitieren. Sie stellen daher in Sachen Bildungsbenachteiligung eine klare Risikogruppe dar, die ein öffentliches Engagement erforderlich macht. (Mehr zur Weiterbildungsbenachteiligung atypisch Beschäftigter gibt es
hier)
Was geschehen muss
Um die regelmäßige Teilnahme am lebenslangen Lernen zu erhöhen und die Selektivität im Weiterbildungsbereich zu reduzieren, sollte die öffentliche Hand daher mehr Mittel für allgemeine und berufliche Weiterbildung bereitstellen (z.B. über Zuschüsse zu Maßnahmen- und Prüfungsgebühren, verstärkte Bezuschussung der Unterhaltskosten, Bildungskredite, aber auch eine bessere Grundfinanzierung). Im Fokus müssen hierbei die Kompetenzen der Geringqualifizierten stehen. Sie müssen aufgedeckt werden, zum Beispiel durch niedrigschwellige Instrumente für die Bildungsberatung wie unsere
Kompetenzkarten. Sie müssen entwickelt werden, durch professionelle Weiterbildner, die sich auf die Personalisierung ihre Angebote für genau diese Zielgruppe verstehen und ihre eigenen Kompetenzen kontinuierlich erweitern, zum Beispiel auf dem von uns mit entwickelten Portal
www.wb-web.de. Und diese Kompetenzen müssen auch formal anerkannt werden, wie das in vielen Ländern Europas schon möglich ist. Mehr hierzu kann man in unserer
europäischen Vergleichsstudie nachlesen oder auch konkret am Beispiel
Finnlands oder
Norwegens hier auf unserem Blog.
Ausblick und Hoffnungsschimmer
Dies war der letzte Blogbeitrag meiner Serie zur Weiterbildungsfinanzierung (die ersten drei Beiträge verbergen sich hinter den Links in den ersten Sätzen dieses Beitrags). Die gesamte Studie erläutere ich in einem Video auf unserer Website, wo auch ein Link zum Hintergrundpapier von Dr. Marcel Walter zu finden ist. Dieser enthält noch viele weitere spannende Befunde.
Ein klitzekleiner Hoffnungsschimmer zeigt sich in zwei verabschiedeten Gesetzesnovellen der letzten Wochen. Mit der
Reform des Meisterbafög gibt der Staat zukünftig 33 Mio. € jährlich mehr für Weiterbildung aus, auch wenn sich das sogenannte Aufstiegsbafög natürlich vor allem an Menschen mit Berufsabschluss richtig. Finanziell besser ausgestattet und direkt für Geringqualifizierte von Nutzen ist das am 3.2. verabschiedete Arbeitslosenversicherungsschutz- und
Weiterbildungsstärkungsgesetz (kurz AWStG), das ab 2017 zusätzliche ca. 150 Mio € pro Jahr bereit stellt. Auch wenn diese Beträge verglichen mit dem Rückgang um 4,3 Mrd. € pro Jahr seit 1995 eher wie zwei Tropfen auf den heißen Stein wirken, so gehen sie doch in die richtige Richtung. Die stärkere Förderung des Erwerbs von Grundkompetenzen, die Einführung von Weiterbildungsprämien für Zwischen- und Abschlussprüfungen und die Förderung von Weiterbildung außerhalb der Arbeitszeit für Beschäftigte in kleinen und mittleren Unternehmen sollten gerade für Geringqualifizierte einen Mehrwert bieten.
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