Teilqualifikationen (TQ) eröffnen neue Wege zum formalen Abschluss. Die flexiblen Qualifizierungsangebote ermöglichen es, die Beschäftigungsfähigkeit von Menschen zu erhöhen, die bislang in ihrer Bildungs- und Erwerbsbiografie noch keinen verwertbaren Berufsabschluss erlangt haben. Dabei können die Module schrittweise in Vollzeit oder auch berufsbegleitend absolviert werden. So können sich An- und Ungelernte zu Fachkräften weiterbilden und über die Externenprüfung nachträglich einen formalen Berufsabschluss erwerben. Zugleich gewinnen Unternehmen gezielt diejenigen Fachkräfte, die sie benötigen und binden die Teilnehmer*innen durch die passgenauen Qualifizierungsmöglichkeiten stärker an das eigene Unternehmen.
Besonders bedeutsam ist die Flexibilität von Teilqualifizierungen: Schon der Abschluss eines TQ-Moduls ermöglicht den Eintritt in den Arbeitsmarkt. Das liegt daran, dass Teilquali-
fizierungen entlang betrieblicher Arbeitsprozesse entwickelt sind und jedes Modul ein konkretes betriebliches Einsatzfeld abbildet. Damit fokussieren TQs auf die berufliche Handlungsfähigkeit. Zusammengenommen decken die Module einer Teilqualifizierungskette alle praxisrelevanten und curricularen Inhalte des jeweiligen Ausbildungsberufes ab. Das macht TQs zu einem wertvollen Instrument der Nachqualifizierung und rückt die gezielte Entwicklung von Teilqualifizierungen weiter in den Vordergrund.
Doch wie gelingt es, eine Teilqualifizierung zu entwickeln, die eben diesen Ansprüchen genügt – und deren Module zum einen betriebliche Einsatzfelder widerspiegeln und zum andern alle curricularen Inhalte des Berufs berücksichtigen? In vergangenen Blogbeiträgen habe ich beschrieben, wie Kompetenzmodelle für die Erstellung von Teilqualifikationen genutzt werden können. Heute gehe ich noch einen Schritt zurück und zeige, wie wir auf Basis unserer Handreichung Kompetenzmodelle entwickeln, die eine Grundlage für Teilqualifizierungen bilden. Unsere Handreichung zur Erstellung von Kompetenzmodellen für Teilqualifikationen beschreibt im Detail die fünf Schritte des Entwicklungsprozesses. Sie dient als Richtschnur und liefert impulsgebende Fragestellungen für den gesamten Prozess.
Entwicklung eines Kompetenzmodells
In der Erstellung eines berufsspezifischen Kompetenzmodells arbeiten wir entlang der folgenden fünf Entwicklungsschritte:
Im ersten Entwicklungsschritt bestimmen wir fünf bis acht reale Handlungsfelder, die den gesamten Beruf abdecken. Die Handlungsfelder sind inhaltlich voneinander abgegrenzt und bilden reale geschlossene betriebliche Einsatzbereiche ab.
Beispielsweise ist der Beruf Bäcker*in in die folgenden sechs Handlungsfelder gegliedert:
- Teige herstellen
- Brot und Kleingebäck aufarbeiten
- Feine Backwaren aus Teigen aufarbeiten
- Feine Backwaren aus Massen herstellen, Torten herstellen
- Backwarensnacks und kleine Gerichte herstellen
- Brot, Kleingebäck und Feine Backwaren abbacken
Anschließend beschreiben wir pro Handlungsfeld repräsentative und spezifische Arbeitsprozesse aus dem betrieblichen Kontext. Dabei verstehen wir einen Arbeitsprozess als vollständige Arbeitshandlung zur Erfüllung eines Auftrags. Aus ihm ergeben sich klare Anforderungen an die berufsfachliche Handlungsfähigkeit. Zur Bestimmung dieser Arbeitsprozesse können Arbeitsprozessanalysen hilfreich sein.
Das Handlungsfeld „Teige herstellen“ aus dem Kompetenzmodell Bäcker*in beinhaltet beispielsweise die folgenden fünf Arbeitsprozesse:
- Mürbeteig herstellen
- Weizenteig herstellen
- Sauerteig und Quellstück herstellen
- Weizenmischteig herstellen
- Mehrkornteig herstellen
In einem weiteren Schritt definieren wir für alle Handlungsfelder und Arbeitsprozesse spezifische Kompetenzen, die mit klarem Handlungsbezug formuliert werden. Diese ergeben sich aus den Arbeitsprozessen und den darin typischerweise zu verrichtenden Aufgaben. Wir gehen davon aus, dass eine entsprechende Kompetenz zu sachgerechtem und verantwortungsvollem Handeln in einer beruflichen Situation befähigt. Daher gehen Kompetenzen über theoretisches Wissen hinaus. Die beinhalteten Kompetenzen eines Handlungsfeldes sind so spezifisch formuliert, dass sie jeweils nur diesem einen Handlungsfeld zuzuordnen sind.
Der Arbeitsprozess „Weizenteig herstellen“ aus dem Kompetenzmodell Bäcker*in beinhaltet u. a. die folgenden Kompetenzen:
- Die Person kennt die wichtigsten Zutaten und Grundrezepturen für Weizenteig.
- Ausgehend von der Grundrezeptur berechnet die Person die benötigten Rohstoffmengen für den entsprechenden Weizenteig. Sie führt Berechnungen zur Teigtemperatur und Schüttwassertemperatur durch und berücksichtigt hierbei die Kneterwärmung des Weizenteiges.
- Nach Ablauf der Knetzeit überprüft und beurteilt die Person die Teigqualität des Weizenteiges.
Nun prüfen wir die Kompetenzmodelle anhand der Ordnungsmittel (Ausbildungsrahmenplan und Rahmenlehrplan) auf Vollständigkeit. Dazu werden alle formulierten Kompetenzen mit Verweisen zum Ausbildungsrahmenplan und Rahmenlehrplan belegt. Daraus ergeben sich eventuell weitere zusätzliche Kompetenzen, die wir in das Modell integrieren.
Abschließend wird das gesamte Kompetenzmodell – also die Handlungsfelder, Arbeitsprozesse und Kompetenzen – in einem Workshop mit berufsfachlichen Expert*innen diskutiert. An dem Workshop nehmen z. B. Meister*innen, Prüfungsausschussmitglieder, Ausbilder*innen, Berufsschullehrer*innen und Unternehmensvertreter*innen teil. Auf Basis der umfangreichen Rückmeldungen und Ergebnisse des Workshops wird das Kompetenzmodell im Nachgang angepasst und finalisiert.
Arbeitsmarktverwertbar und abschlussbezogen
Ein bedeutender Vorteil dieser Herangehensweise ist, dass die TQ-Module an den betrieblichen Einsatzfeldern und den konkreten Bedarfen der Praxis orientiert sind. Jedes Handlungsfeld – bzw. jedes TQ-Modul – ist in sich geschlossen und arbeitsmarktverwertbar. Durch die curriculare und ökologische Validierung ist sichergestellt, dass die Kompetenzmodelle zum einen alle Inhalte der jeweiligen Ausbildungsordnung abdecken und zum anderen den Anspruch der betrieblichen Praxis erfüllen. Zusammengenommen decken die TQ-Module das gesamte Berufsbild ab. Sie bilden eine Grundlage für die Teilnahme an der Externenprüfung und damit für den formalen Berufsabschluss.
Alle Kompetenzmodelle, die nach dieser Vorgehensweise entwickelt worden sind stehen auf unserer Website Aufstieg durch Kompetenzen zum Download bereit. Verschiedene Bildungsträger haben bereits auf dieser Basis Teilqualifizierungen entwickelt und zertifiziert.
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