Sowohl bessere Bildung als auch höhere Renten!

Bildung ist natürlich wichtig! So lautet die Standardantwort quer durch alle Parteien und zivilgesellschaftlichen Institutionen, wenn es darum geht, sich zur Bedeutung von Bildung in einer stärker als in anderen Ländern alternden Gesellschaft zu äußern. Bildung und Weiterbildung seien, so das einheitliche Echo, die Voraussetzung dafür, dass unsere gealterte Gesellschaft auch in Zukunft noch ihre Rentenzahlungen finanzieren kann, dass die Schüler und jungen Arbeitnehmer auch morgen noch im globalisierten Wettbewerb der Arbeitskräfte eine Chance haben werden, erwerbstätig sein zu können und uns – den heutigen und kommenden Rentnergenerationen – den Wohlstand ermöglichen. Soweit die Theorie.

Bildung hat aber als Politikfeld in der politischen Praxis einen entscheidenden Nachteil, wenn es um die Verteilung der aktuellen Ressourcen geht; im Gegensatz zur konsumptiv ausgerichteten Rentenpolitik, die in einer Gesellschaft, in der jeder 4. Bürger Rentenbezieher ist, leichtes Spiel dadurch hat, dass eine Rentenerhöhung sich sofort auf die Zufriedenheit der Wähler auswirkt, wird der Nutzen einer investiv ausgerichteten Bildungspolitik erst mit einer Verzögerung von 2 Jahrzehnten – und dann auch nur indirekt – sichtbar (auf die Föderalismusproblematik der Bildungspolitik möchte ich hier erst gar nicht weiter eingehen). Zur Lösung dieses politökonomischen Dilemmas werden immer wieder Korrekturmechanismen wie das Familienwahlrecht oder das Kinderwahlrecht vorgeschlagen. Wie so häufig aber reagiert die stark gealterte Gesellschaft in paternalistischer Weise und verweigert den Jüngeren das Zugeständnis einer eigenen politischen Sichtweise. Wenn aber diese rechtlichen Korrekturmechnismen die politische Ökonomie der Demografie nicht aushebeln können, ist eine Anpassung an diese realen Rahmenbedingungen notwendig.

Digitalisierung verändert die Bildungskultur

Wenngleich die Art und Weise der Vorstellung sowie die Ausrichtung der gerade vorgestellten Digitalen Agenda der Bundesregierung nicht dazu geeignet ist, die Digitalisierung als einen Lösungsansatz für dieses politökonomische Dilemma zu erkennen, so ist es doch gerade das Internet, der freie Zugang zu offenen Lehrmitteln und -inhalten sowie der kollaborative Gedanke der sozialen Medien, der – trotz demografisch bedingter schrumpfender finanzieller Ressourcen – einen Möglichkeitshorizont in Form von Produktivitätssteigerungen im Bildungswesen und der Vermittlung von Inhalten aufzeigt. Wenngleich dieser Horizont aufgrund von fehlender Internetkultur an Schulen und in der Weiterbildung, von tradierten Rollenverständnissen eines Teils der Lehrenden, der Statusängste von ehemaligen Gatekeepern der „wahren“ Bildungsinhalte und der in Deutschland defizitären digitalen Infrastruktur ein Stück weiter in die Ferne rückt, so bedarf es doch zur Korrektur all dieser bremsenden Faktoren nicht weiterer finanzielle Ressourcen für das Bildungswesen sondern einfach nur einer Veränderung der (Weiter-) Bildungskultur. Dass die Veränderung der Kultur zum Einbruch angestammter Geschäftsfelder, Erosion politischer Zuständigkeiten und dem Überdenken der Institution Schule und der Weiterbildungslandschaft führen wird, dürfte außer Zweifel stehen. Dieser Umbruch liegt aber im Interesse der nachrückenden Generation.

Waren Reformen im (Weiter-) Bildungswesen bisher ganz im Sinne der institutionellen Pfadabhängigkeit Ergebnis der ausführlichen und langwierigen Abstimmung zwischen Kultusministerkonferenzen, Lehrerverbänden, Weiterbildnerverbänden, VHSn und vielen anderen NGOs, so wird sich dies in Zukunft wahrschinlich ändern (müssen). „Digitalisierung“ wird sich in dreierlei Weise auf (Weiter-) Bildung auswirken; erstens inhaltlich, zweitens methodisch, drittens prozedural. Inhalte werden methodisch in anderer Form dargestellt werden müssen. Digitale Pädagogik ist nicht einfach die Übertragung der offline basierten Pädagogik auf die Computer sondern beinhaltet die Neuformulierung von Lehrmethoden und Rollenbildern. Die vermittelten Inhalte werden aber auch zunehmend netzpolitische und gesellschaftliche Grundsatzfragen beinhalten, die bisher keine Berücksichtigung fanden. Am Ende der digitalen Umwälzung ist auch damit zu rechnen, dass bildungspolitische Institutionen und formale Kompetenzanerkennungen per se in Frage gestellt werden. In einer digitalisierten Welt, in der aktuelle Referenzen für geleistete Arbeiten oder vorhandene Kompetenzen sich täglich ändern können, verlieren Meisterbriefe und Abiturzeugnisse tendenziell in vielen Bereichen der globalisierten Wirtschaft in gewisser Weise einen Teil ihres Wertes. So interessieren beispielsweise in den entsprechenden Internetportalen, in denen Handwerksleistungen angeboten und nachgefragt werden, nicht die Noten des 20 Jahre alten Meisterbriefs sondern die aktuellen Bewertungen der handwerklichen Tätigkeiten durch die Haushalte, die die Leistungen in Anspruch genommen haben. Wenn aber formale Zertifikate an Bedeutung verlieren, wie verhält es sich dann mit den politischen Gremien, die diese Zertifikate verantworten?

Digitalisierung der Bildung ist eine Chance

Die Sharing-Economy, Werkzeuge für onlinebasiertes kollaboratives Arbeiten, Kommunikation jenseits von Zuständigkeiten und Ländergrenzen, Cloud basiertes Wissensmanagement und die schwarmorientierte Lösung komplexer Arbeitsaufgaben stellen das bisherige Bildungssystem und Akteure damit vor große Herausforderungen. Zugleich aber bieten diese neuen Methoden und Werkzeuge auch die Möglichkeit in einer alternden und schrumpfenden Gesellschaft, die schwindenden gesamtwirtschaftlichen Ressourcen besser einzusetzen und damit der Gesellschaft wie auch dem Einzelnen (in der Schule wie auch in der Weiterbildung) die Möglichkeit, diesem Schrumpfungsprozess und dem damit einhergehenden Fachkräftemangel entgegen zu wirken und seine Potenziale mehr als jemals zuvor einem globalisierten Arbeitsmarkt anzubieten. Davon profitieren am Ende auch die Rentenbezieher.

Bildungspolitische Runde Tische mit Netzpolitikern und Demografen

Runde Tische haben sich in der Politik in der Vergangenheit schon häufiger bewährt, wenn es um die Bewältigung großer gesellschaftlicher Umbrüche ging. Wie wäre es mit der Einrichtung eines bildungspolitischen Runden Tisches, der aber nicht nur den traditionellen Stakeholdern Platz bietet, sondern dieses Mal auch dezidiert Netzpolitiker und Demografen zur Debatte und Teilhabe an der Zukunftsdiskussion einlädt? Bei der Vorstellung der Digitalen Agenda konnte gerade sehr schön beobachtet werden, dass das Schreiben von politischen Konzepten durch einige ausgewählte zuständige Beamte sehr aus der Zeit gefallen wirkt. Offenheit und Partizipation durch einen Runden Tisch würde die Chance eröffnen, Bildung nicht nur als Selbstzweck zu sehen sondern auch die elementare Bedeutung von Bildung für die Megatrends der Digitalisierung und der demografischen Umbrüche fachübergreifend zu betonen und ins Bewusstsein zu rufen. Es gibt zudem inzwischen viele innovative Leuchtturmprojekte, die uns allen zeigen, wie die Vereinbarkeit von Bildung und Digitalisierung ausgestaltet sein könnte. Bisher vernehme ich aus der Berichterstatung über diese Projekte nur positive und sogar euphorische Meinungsäußerungen. Sollten wir diesen Schwung nicht nutzen, um das positive Entwicklungsmoment auch auf andere Bereiche der Bildung und Wirtschaft zu übertragen?

Dieser stark gekürzte Text lehnt sich an meinem Beitrag „Demografie und Bildung 2.0: Von der Kreidezeit in die Zukunft. Warum wir das Internet für ein zukunftsfähiges Bildungssystem brauchen“ an, der vor kurzem in dem Sammelband „Generationengerechte und Nachhaltige Bildungspolitik“ (Hg. Prof. Jörg Tremmel, Uni Tübingen) erschienen ist.