„Open Educational Ressources: Was ist dran am Hype?“, so fragten die Organisatoren einer Abendveranstaltung zu OER, die am 11.9. in Berlin in den Räumen eines StartUps stattfand. Die Stiftung Neue Verantwortung, die Vodafone Stiftung und das Humboldt Innovation Institut luden gemeinsam zu einer Debatte mit Thomas Aidan Curran, Jakob Adolph und Saskia Esken ein. Eine solche Debatte sinnvoll zusammen zu fassen und die wichtigsten Punkte wieder zu geben, kann nur aus rein subjektiver Perspektive geschehen.
Die Veranstalter hatten zu Anfang ein Inputpapier verteilt, in dem die Eckpunkte einer „Digitalen Agenda der Bildungspolitik“ genannt wurden; hierzu gehören aus Sicht der Autoren der Netzausbau an den Schulen, professionelles IT-Management an den Schulen, Lehrer-Fortbildung, Qualitätssicherung bezüglich der OER-Inhalte, standardisierte Schnittstellen, Wirksamkeitsforschung des Einsatzes von digitalisierten Lehrmitteln und die Gründung eines öffentlichen Wagniskapitalsfonds für StartUps im Bildungsbereich. Aus meiner Sicht kann man diese Eckpunkte nur unterstützen. Zwei Kritikpunkte sind allerdings zu nennen. Erstens wird der OER-Kontext allein für die Schulen, nicht aber für die Weiterbildung hergestellt. Das ist schade und kaum zu begründen. Im Gegenteil könnten diese Vorschläge eigentlich nahezu komplett auf alle (Weiter-) Bildungsträger übertragen werden. Zweitens müssen einige technische Aspekte sicher mit einem Blick auf die Vodafone-Stiftung als Mitautorin des Papiers etwas zurückhaltend beurteilt werden.
Die danach mit den Gästen auf dem Podium geführte Diskussion wurde von Kristin Narr, die sich inhaltlich bestens auf den Abend vorbereitet hatte, moderiert. Grundsätzlich war zwar ein großer Konsens sowohl auf dem Podium als auch im Auditorium vorhanden, dennoch gab es einige strittige Punkte.
Wer ist verantwortlich dafür, dass OER eine breitere Akzeptanz sowohl bei den Lehrenden als auch der Politik und den Verlagen erhalten? Die einen gaben dem Staat die Verantwortung und forderten finanzielle Unterstützung für die Produktion von OER. Die anderen lehnten gerade mit Blick auf die Dezentralität von OER eine staatliche Verantwortlichkeit ab. Grundsätzlich war man sich einig, dass „das Bewusstsein“ für den Nutzen von OER geschaffen werden müsse. Warum aber beispielsweise Weiterbildner, deren Wissensvorsprung ja gerade den Kern ihres Geschäftsmodells bilden, ihre Inhalte unter CC-Lizenz aller Welt zur Verfügung stellen sollten, konnte nicht beantwortet werden.
Kommt der technischen Infrastruktur eine Schlüsselfunktion bei der Produktion und Nutzung von OER zu? Wie immer wieder in netzaffinen Debatten kam schnell ein Streit darüber auf, welche Bedeutung die technische Infrastruktur und die Tools per se für das Verständnis von OER hätten. Die eine Meinungsfraktion betonte, dass ein Breitbandanschluss sicherlich nicht notwendig sei, um CC-lizensierte Texte ins Netz zu laden. Die andere Fraktion war der Meinung, dass beispielsweise die Bereitstellung von offenem Wlan an Schulen die bei den Schülern vorhandenen Kompetenzen in der Anwendung von Tools erst in den Unterricht einzubringen vermögen. Ich finde es immer wieder erstaunlich, wie der Abwehrreflex gegenüber Technik einsetzt, sobald vom Netz die Rede ist (Ihr wisst: Face2Face kann nicht…). Die disruptiven Auswirkungen technikbasierter Onlinekollaboration und die Sensitivität von sozialer Kommunikation über das Netz gegenüber negativen Reizen ist für jeden Netznutzer vollkommen offensichtlich. Darüber immer wieder von neuem diskutieren zu müssen, finde ich ehrlich gesagt etwas ermüdend. Es wäre so, als wenn man Straßenverkehr nicht als soziales Konstrukt sehen wollte, da Autos nur ein technisches Tool sind. Niemand würde dies ernsthaft behaupten wollen.
Darf die Produktion von OER und die damit einhergehende Umstellung des Bildungssystems Zusatzkosten für den Staat, Private oder Unternehmen verursachen? Auch hier standen sich die Ja- und die Nein-Fraktion relativ unversöhnlich einander gegenüber. Die Nein-Seite meinte, es entstünden tendenziell schon durch das Wegbrechen von Geschäftsmodellen viele Folgekosten. Wolle man dann auch noch diese betriebswirtschaftlich negativen Folgen mit staatlichen Mehrausgaben für die Community kombinieren, sei dies kaum vermittelbar. Auch dürfe man den Privaten nicht ein neues Bildungsmodell zuerst mit Mehrbelastungen verkaufen. Die Ja-Seite war in der Argumentation eher normativ getrieben und betonte, dass eine für die Zukunft notwendige Neuausrichtung der Bildung zwar Kosten verursache, dies aber im Interesse der Gesellschaft insgesamt sein und damit auch zu vertreten sei.
Wissen Lehrer was sie (nicht) dürfen? Auch diese Frage kann man natürlich jederzeit ohne Probleme auch auf Weiterbildner ausweiten. Empirisch validierte Aussagen darüber, ob Lehrende entweder Unwissende seien, die aus Angst vor Rechtsverstößen jede Aktivität Richtung OER vermieden, oder aber kreative Autoren von OER seien, die schon heute bei jeder sich bietenden Gelegenheit den Blick auf OER-Plattform richteten, scheinen nicht zu existieren. So entwickelte sich gerade auch in diesem Punkt ein emotional geführter Meinungsaustausch, ohne dass danach mehr Klarheit vorhanden war.
Konsens war in den folgenden Punkten vorhanden: Die digitale Infrastruktur in Deutschland ist in einem katastrophalen Zustand, OER ist gerade auch mit Blick auf die Methode die Zukunft der Bildung, die Pädagogik der Lehrenden muss die digitale Komponente sinnvoll in den Unterricht integrieren, das deutsche Bildungssystem hinkt den internationalen Best Practices mindestens 5 Jahre hinterher, der Zugang zu OER ist keine finanzielle sondern eine soziale Frage.
Inklusion spielte interessanter Weise nur eine absolut untergeordnete Rolle. Ein Teilnehmer des Auditoriums machte am Ende noch den Vorschlag, die an öffentlichen Instituten produzierten Inhalte per se als OER bereit zu stellen. Eine verbindliche Policy fehle bisher an dieser Stelle. Manchmal liegt das Einfache so nah und man fragt sich, warum darüber noch nie gesprochen wurde.
Den Veranstaltern ist zu danken, dass sie mit vereinten Kräften das Thema auf die politische Agenda heben wollen und sie verdienen dabei jede Unterstützung. Insofern war natürlich auch die Frage danach, ob es sich nur um einen Hype handele, nicht ernst gemeint.
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