Die Coronakrise bringt neben gesundheitlichen Sorgen auch wirtschaftliche Unsicherheiten mit sich. Behalte ich meinen Arbeitsplatz? Ist mein Arbeitsplatz noch derselbe, wenn sich in einigen Wochen und Monaten wieder so etwas wie Normalität einstellt? Corona wirkt dabei wie ein Katalysator für die beiden Megatrends demografischer und digitaler Wandel. Dabei wird immer deutlicher wie wichtig berufliche Weiterbildung für den Erhalt der individuellen Beschäftigungsfähigkeit und der gesamtgesellschaftlichen Produktivität ist. Aber sind wir bei der Weiterbildung in Deutschland gut aufgestellt? Was ist von der nationalen Weiterbildungsstrategie zu halten, die letztes Jahr verabschiedet wurde?

Um das herauszufinden haben wir gemeinsam mit der Heinrich-Böll-Stiftung bereits im Dezember letzten Jahres eine Fachkonferenz organisiert. In fünf zentralen Handlungsfeldern wurden dabei Vorschläge für die Weiterentwicklung und Umsetzung der Strategie diskutiert, die ein jetzt veröffentlichtes Positionspapier der beiden Stiftungen  vorstellt:

  1. Zeit und Geld für Weiterbildung bereitstellen,
  2. Verlässliche Strukturen schaffen, Qualität sichern,
  3. Kompetenzen sichtbar machen und anerkennen,
  4. Teilqualifikationen standardisieren und ausbauen,
  5. Professionalisierung der Lehrkräfte stärken.

Die Nationale Weiterbildungsstrategie

Dass Weiterbildung wichtig ist, ist eigentlich nichts neues, hat sich doch schon zwischen 2001 und 2004 eine vom BMBF eingerichtete hochkarätige Expertenkommission zum Beispiel mit den Fragen der nachhaltigen Finanzierung Lebenslangen Lernens befasst. Außer Lippenbekenntnissen ist allerdings für die Stärkung der Weiterbildung relativ wenig getan worden, von einer Weiterbildungsstrategie war nichts zu erkennen. Das zeigte anschaulich die Untersuchung zur öffentlichen Weiterbildungsfinanzierung der Uni Duisburg-Essen in unserem Auftrag. Erst in den letzten Jahren sind vermehrt gesetzgeberische Aktivitäten festzustellen, z.B. mit dem Arbeitslosenversicherungsschutz- und Weiterbildungsstärkungsgesetz (AWStG) aus 2016.

Im Herbst 2018 kam schließlich Bewegung in das Thema, als die Bundesministerien für Bildung und Arbeit gemeinsam mit 15 weiteren Partnern aus Bund, Ländern und Sozialpartnern die Arbeit an einer nationalen Weiterbildungsstrategie aufnahmen.  Parallel beschloss der Bundestag das wichtige Qualifizierungschancengesetz, das unter anderem ein individuelles Recht auf Weiterbildungsberatung umfasst. Schließlich war es im Juni letzten Jahres dann so weit: die federführenden Ministerien veröffentlichten das Papier zur Weiterbildungsstrategie.

Das Strategiepapier formuliert zehn Handlungsziele und beschreibt, was die 17 Partner derzeit bereits tun, um diese zu erreichen, sowie was sie bereits in naher Zukunft dazu planen.

Die 10 Handlungsziele im Überblick:

  1. Die Transparenz von Weiterbildungsmöglichkeiten  und -angeboten unterstützen
  2. Förderlücken schließen, neue Anreize setzen, bestehende Fördersysteme anpassen
  3. Lebensbegleitende Weiterbildungsberatung flächendeckend vernetzen und Qualifizierungsberatung insbesondere für KMU stärken
  4. Die Verantwortung der Sozialpartner stärken
  5. Die Qualität und Qualitätsbewertung von Weiterbildungsangeboten prüfen und stärken
  6. Erworbene Kompetenzen von Arbeitnehmer*innen in der beruflichen Bildung sichtbar machen und anerkennen
  7. Fortbildungsabschlüsse und Weiterbildungsangebote entwickeln
  8. Bildungseinrichtungen als Kompetenzzentren für berufliche Weiterbildung strategisch weiterentwickeln
  9. Das Personal in der Weiterbildung stärken und für den digitalen Wandel qualifizieren
  10. Die strategische Vorausschau stärken und die Weiterbildungsstatistik optimieren

Mit diesem Papier setzt eine breite Allianz von beteiligten Stakeholdern das Thema Weiterbildung zentral wie selten zuvor auf die Agenda. Die wesentlichen Herausforderungen, wie z. B. die immer noch starke soziale Selektivität in der Weiterbildungsbeteiligung sowie die Notwendigkeit der Anerkennung informell erworbener Kompetenzen, werden treffend benannt. Besonders richtungsweisend ist meines Erachtens dabei die Ankündigung eines individuellen Rechtsanspruchs auf Förderung einer beruflichen Nachqualifizierung für Menschen ohne Berufsabschluss. Dieser befindet sich gerade im Rahmen des Arbeit-von-morgen-Gesetzes im parlamentarischen Verfahren.

Fachkonferenz „Weiterbildung 4.0 – Wie weit trägt die nationale Weiterbildungsstrategie“

Am 2. Dezember 2019 diskutierten wir mit rund 120 Expertinnen und Experten aus Wissenschaft, Politik, Verbänden und Weiterbildungspraxis die im Sommer verabschiedete Nationale Weiterbildungsstrategie auf einer Fachkonferenz in Berlin. Keynotes von Enzo Weber (IAB) und Julia Borggräfe (BMAS) bereiteten das Feld für 5 Impulsvorträge. Zwei anschließende intensive Workshoprunden und ein Abschlussplenum rundeten das Programm ab. Die Vorträge sowie weitere Materialien sind unter www.boell.de/weiterbildung nachzulesen und zu -hören.

Neben einer generellen Zustimmung zum Anspruch der Strategie herrschte unter den Teilnehmenden auch Skepsis, vor allem hinsichtlich der Frage, inwiefern die Ziele mit den vorgeschlagenen Maßnahmen allein erreicht werden können. Die im Strategiepapier verfassten Willensbekundungen, Prüfaufträge und vereinzelten neuen Umsetzungsvorschläge treten bisher hinter die Möglichkeit mittels einer strategischen Gesamtvision zu einer Systematisierung der Weiterbildungslandschaft beizutragen deutlich zurück.

Vor allem geht die nationale Weiterbildungsstrategie in ihrer jetzigen Form nicht weit genug, um bestehende Teilhabedisparitäten und Weiterbildungsbarrieren abzubauen und dem absehbaren Mangel an Fachkräften wirksam entgegenzutreten. Signale für einen wirksamen Aufschlag, wie etwa einen Staatsvertrag oder ein Bundesrahmengesetz, fehlen. Die Teilnehmenden waren sich einig, dass Weiterbildung angesichts der digitalen Transformation unserer Gesellschaft in ihrer Bedeutung der schulischen, beruflichen und akademischen Ausbildung gleichgestellt werden muss.

Mentimeter Umfrageergebnisse zur Einschätzung der Nationalen Weiterbildungsstrategie

Positionspapier zur Nationalen Weiterbildungsstrategie

Auf Basis der Vorträge und der Diskussionen in den Workshops haben die beiden Stiftungen in Abstimmung mit den Moderator*innen und Impulsgeber*innen  ein gemeinsames zweiseitiges Positionspapier erstellt, dass die laut Plan noch bis Frühjahr 2021 laufende Umsetzung der Nationalen Weiterbildungsstrategie kritisch-konstruktiv begleiten will. Es führt konkrete Hinweise zu den fünf Handlungsfeldern auf. Im Verlauf dieser Woche stelle ich die einzelnen Punkte jeweils kurz in einem eigenen Bloghäppchen kurz vor. Ich freue mich auf Fragen und Kommentare und hoffe, dass wir mit diesem Papier auch in Zeiten, die vor allem medial von der Corona-Krise stark geprägt werden, das zukunftsweisende Thema Weiterbildung im Blick behalten helfen.

Auftakt: Wie weit trägt die Nationale Weiterbildungsstrategie?

Häppchen #1: Zeit und Geld für Weiterbildung bereitstellen

Häppchen #2: Verlässliche Strukturen schaffen, Qualität sichern

Häppchen #3:  Kompetenzen sichtbar machen und anerkennen

Häppchen #4:  Teilqualifikationen standardisieren und ausbauen

Häppchen #5: Professionalisierung der Lehrkräfte stärken

Over and out.